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Poison (German Edition)

Poison (German Edition)

Titel: Poison (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Alster
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gelungen ist, aber anscheinend habe ich mich wohl geirrt ... Schwäche. Doch ER hat es geschafft, wie gesagt, und dafür hasse ich ihn, möchte ihn verletzen, ihm wehtun, ihn genauso erniedrigen, wie es ihm heute gelungen ist, denn ich fühle mich wie damals, als ich dreizehn Jahre alt war, verängstigt, verstört, voller Abgründe in meiner Seele, den Sinn des Lebens nicht kennend, geschweige denn begreifend, ebenso wenig wie die Unausweichlichkeit des Todes als Endpunkt des Lebens, hilflos und plötzlich ganz alleine auf der Welt. Heute weiß ich, dass damals auch ein Teil von mir gestorben ist. Damals jedoch, in diesem Spätherbst, als ich wie betäubt am offenen Grab meiner Tante stand, bei der ich bis zu diesem Tag aufgewachsen war. Um mich herum trostlose Landschaft, grauer, verregneter Himmel, Nebelfetzen in den Spitzen der Bäume, und all die Fremden um mich herum, die es ja soo gut mit mir meinten und in Wirklichkeit nur auf das für Fremde in seiner Höhe nicht zu bestimmende Erbe aus waren, und auf den sorglosen Umgang mit dem nicht zu umgehenden Übel bei der Sache ... mit mir.
    Ja, sie versuchten, mich zu trösten, zumindest gaben sie sich den Anschein ..., bis die Beerdigung vorbei, meine Tante unter der Erde, die materiell greifbaren Dinge verteilt waren. Man sah es ihnen richtiggehend an, man konnte es hören, riechen, spüren ... Falschheit, Schein, Fassade, gespieltes Mitleid, und so versteckte ich mich in der hintersten Ecke des Speichers oder im Keller vor jedem und jeder Einzelnen von ihnen, damit ich nicht gezwungen wurde, diese Menschen zu begleiten ... aber es nutzte nichts, denn welche Chancen hat ein 13-jähriges Kind? Oder welche Rechte, besser gesagt?
    Keine, weswegen ich das nächste Jahr bei meiner geliebten Verwandtschaft, verbringen durfte, die mich untereinander hin- und herschob, um sich gegenseitig eins auszuwischen, und mir noch deutlicher zu demonstrieren, für was sie mich hielten, und was ich sicher auch war: ein lästiges Übel. Es ist nicht so, dass ich aufsässig war, eher schwierig, und eigentlich bin ich das heute auf meine Art noch. Schwierig, weil ich eher in mich gekehrt war, und meine Tante schmerzlich vermisste, weswegen ich immer und immer wieder auf den Friedhof flüchtete, nur weg von denen, die mich doch so offenkundig gar nicht haben wollten, dorthin, wo ich dem Menschen am nächsten sein konnte, dem ich wohl etwas bedeutet hatte, der mir als Einziges etwas bedeutete. Doch im Laufe des Jahres wandelten sich meine sehnsüchtigen Wünsche nach Geborgenheit und ihrer Nähe in wehmütige Erinnerungen, die bald verblassten.
    Und als es dann wieder Herbst wurde, graue Wolken die Sonne und ihre Strahlen verdunkelten und die dunkle Jahreszeit einläuteten, entwickelte sich eine Wut in mir, die stärker und stärker wurde, und die in meinem Inneren zunächst Schleier und später, mit der Zeit, Bande um die Liebe meiner Tante zu mir legte, bis ich begann, an deren Existenz zu zweifeln. Und als das letzte Laub dieses Jahres fiel und von Schnee bedeckt wurde, blieb mir eigentlich nur noch eine Frage zur Beantwortung übrig, denn den Rest hatte ich mir mit meinen bescheidenen Mitteln selbst zusammengereimt: »Warum hatte sie nicht dafür gesorgt, was danach mit mir geschehen würde?«
    Sie hatte, was ich bald darauf erfuhr, aber ihre Beweggründe verstehe ich bis heute nicht und wundere mich noch manchmal, in besonders melancholischen Situationen darüber. Und ich frage mich noch heute, ob die anderen es noch vor mir gewusst und mich deshalb so schlecht behandelt hatten? Was hatte sie sich dabei bloß gedacht? Doch auch auf diese wenigen Fragen bekam ich nie eine Antwort ... bloß eine Wahl, die zu entscheiden ganz alleine mir zustand, was ich als Symbol meiner beginnenden Unabhängigkeit genoss.
    »Such dir aus, wo du leben möchtest. Entweder bei einem deiner Verwandten oder in dem Internat, das deine Tante für dich ausgesucht hat. Es ist in ...« Weiter brauchte der Notar nicht zu sprechen, denn ich hatte mich längst entschieden ... und schlagartig war mein Glaube in meine Tante für mich zurückgekehrt. Alles, was sie mich je gelehrt, was sie mir je gesagt hat, all ihre kleinen Weisheiten, fielen mir wieder ein und verankerten sich für den Rest meiner Jugend in meinem Gehirn ... und erinnerten mich an ihre tröstenden Worte in der Nacht, wenn ich panisch vor Angst aus einem meiner Albträume erwachte, die mich bis in mein jetziges Alter verfolgt haben ...
    »Die

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