Poison (German Edition)
habe.
Aber er wird kommen, ich bin mir ganz sicher. Was er jetzt braucht, ist etwas Zeit. Und bis dahin werde ich noch meinen Spaß haben, mit oder ohne ihn. Und wenn er kommt, werde ich ihn empfangen. Ob jedoch mit offenen oder mit verschränkten Armen, hängt von ihm ab, ganz alleine.
52
Brix
Ich kann nicht sagen, wie lange ich im Endeffekt da gestanden habe, neben meiner Wohnungstür, die beiden Fünfhunderter in der Hand. Ein Rekapitulieren der Situation hat auch nichts gebracht, bis auf die unumstößliche Feststellung, dass die Nummer eben der beste Sex war, den ich jemals hatte, dazu noch kostenlos und anscheinend auch umsonst, denn Shahin ist nicht nur weg, sondern auch noch ziemlich wütend auf mich. Nicht ohne Grund, muss ich mir eingestehen, denn das habe ich ja wohl wieder mal gründlich versaut. Voller Wut schlage ich mit meiner Faust gegen den Stahl meiner Tür, es macht »knack«, und meine Hand durchfährt ein stechender Schmerz, Tränen schießen in meine Augen, und ich verfluche meine Unbeherrschtheit.
Obwohl mir in diesem Moment wie schon lange nicht mehr seit meiner Kindheit nach lautem, befreienden Heulen ist, kann ich mich doch wieder beherrschen und fluche statt dessen über den »stinkenden Sohn einer Hure«, wobei meine erste, gedankliche Assoziation mit IHM sofort heftigste Schuldgefühle in mir hervorruft, dafür, dass ich sehr genau weiß, dass ich ja eigentlich Fehler über Fehler gemacht habe. Die Tränen, die jetzt doch in meine Augen schießen, sind Tränen der Wut über meine verdammte Dummheit. Warum musste ich auch gegen die Tür schlagen? Warum konnte ich mir nicht einfach einen schönen, netten Abend mit ihm machen, Kaffee trinken, etwas reden, ihn verführen, ihn ausgiebig nehmen, selbst wenn es das Doppelte oder Dreifache gekostet hätte, eine ganze Nacht mit ihm wäre das wert gewesen. Und nun? Eine – zugegebenermaßen verflucht gute – Nummer, dazu auch noch kostenlos, Streit als Zugabe und jetzt ist auch noch meine Hand gebrochen ... oder so.
»Deine Hand ist nicht gebrochen, Sonnenschein«, höre ich die tadelnde Stimme meiner Tante hinter mir, ganz so, als würde sie mir erklären wollen, dass man nicht auf die heiße Herdplatte greift. Ich drehe mich um, und da sitzt sie auf meiner Couch, mit ihrer Handtasche, die mir auch so seltsam vertraut vorkommt, und winkt mich aufmunternd zu ihr.
Natürlich versuche ich, mir meine Würde zu behalten, aber es endet doch so wie damals als kleiner Junge, und nicht so, wie es einem 29-jährigen Mann eigentlich zukommt: Ich sitze auf der Couch, halte meiner Tante mein schmerzendes Handgelenk hin und versuche krampfhaft, mir meine Tränen zu verkneifen.
»Weinen ist keine Schande, Sonnenschein«, sagt meine Tante und nimmt mich tröstend in ihre Arme. »Menschen, die weinen, haben Gefühle«, sagt sie, und streichelt beruhigend meinen Rücken, während ich unaufhaltsam zu schluchzen beginne und den wenigen Tränen, die ich noch habe, freien Lauf lasse.
»Wer weint, kann auch glücklich sein.«
Ich ziehe geräuschvoll die Nase hoch. »Ich hab’s versaut!«, stoße ich gequetscht hervor.
Meine Tante lächelt ihr geheimnisvolles Lächeln. »Es war wirklich nicht besonders ... taktvoll, was hier geschehen ist«, meint sie dann mit ruhigem Unterton. »Die Liebe, Sonnenscheinchen, ist etwas Heiliges – und ihre Ausübung das Glück bringendste Gefühl auf Erden – wenn man weiß, wie.«
Ich ahne etwas. »Und er weiß es?«, rate ich ins Blaue.
Meine Tante lächelt. »Er weiß es nicht nur, er wendet es auch an, um Menschen glücklich zu machen. Sicher nicht immer auf dem richtigen Weg, mein Häschen, aber doch in die richtige Richtung.«
Langsam beruhige ich mich wieder, gehe zu meinem Schreibtisch, wo noch die angebrochene Flasche »Johnny Walker« steht, und gieße mir ein Glas voll, das ich mit einem Zug leere. Der Whisky rinnt in seiner rauchig-zarten Blume meine Kehle herab und brennt in meiner Speiseröhre nach, was die Lebensgeister wieder in mich zurückkehren lässt. Meine Hand schmerzt nicht mehr und wird auch nicht dick, weswegen ich meiner Tante einen fragenden Blick zuwerfe und dabei die Flasche etwas bewege, um ihr eventuell auch einen Whisky mitzubringen, aber sie lehnt lächelnd ab.
»Es ist nichts verloren, Brix«, sagt sie, leise lächelnd. »Jetzt geht es erst richtig los.«
Ich verstehe nichts, aber es hört sich gut an. »Aber er hat mich doch stehen gelassen«, erwidere ich, sofort von dem
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