Poison (German Edition)
fesseln und in ihren Bann ziehen. Diese Kraft, seine Sehnsucht, diese Leidenschaft und diese grenzenlose Liebe für viele Menschen habe ich gestern schon bemerkt und instinktiv gespürt. Vielleicht bin ich deshalb auch so ausgerastet, als er diesen Satz zu mir sagte, dieses »Lieb’ mich« und mir dabei seinen Körper entgegenreckte. Vielleicht habe ich ihn deshalb auf das Parkett im Wohnzimmer dirigiert und mich eine Spur zu hart, zu ... egoistisch … in ihm bewegt. »Fast schon sadistisch«, sagt eine innere Stimme zu mir, und ich möchte am liebsten vergessen, dass ich ihn am Kommen gehindert, ihn um seinen Orgasmus betrogen habe. Aber diese Schuld steht mir auf die Stirn geschrieben, denn er ist längst im Raum, hat mich gewiss auch längst gesehen, hat die erste Tasse Kaffee getrunken und redet seit vier Songs mit einem Typen, der zu seiner Linken an der Bar steht und der mir von irgendwoher bekannt vorkommt.
Ich weiß wirklich nicht woher, und tief in mir meldet sich ein ungutes Gefühl, was diesen Typen betrifft, der irgendwie ziemlich steril wirkt, wie er da an der Bar steht. Sportlich, fünf Millimeter kurze Haare, Brille, aber irgendwie steril, ohne eigenen Stil, ohne die Eigenheiten, die jeden Menschen unverwechselbar machen, irgendwie klinisch. Ein Typ von der Sorte, den man unbesehen in eine Uniform der Müllabfuhr stecken könnte, und der damit ebenso wenig auffallen würde wie als Gärtner im Park oder als Chirurg im Operationssaal – verdammter Mist! Woher kenne ich den???
Und als das fünfte Lied vorbei ist, macht Shahin eine entschuldigende Handbewegung und geht in Richtung Toiletten. Im »Choices« ist der Backroom woanders, deshalb bin ich mir ziemlich sicher, dass er wirklich aufs Klo geht. Ich warte eine halbe Minute und folge ihm dann – und richtig, er steht am Waschbecken und wäscht sich die Hände. Ansonsten ist niemand hier, das ist meine Chance. Ich zögere, aber ich mache mir bewusst, dass ich sonst auch nie feige war. Starker Brix, braver Brix. Also trete ich näher und umfasse ihn von hinten, während er sich die Hände abspült, und realisiere dabei, dass er mich bereits im Spiegel gesehen hat und trotzdem stehen geblieben ist, auf mich gewartet hat!!! Meine Hände umfassen ihn von hinten und kommen auf seinem schönen flachen Bauch zur Ruhe, nur die Spitzen meiner Daumen gleiten über seinen Body und damit über die herrlich weiche Haut, die zwischen den Stückchen Stoff zu spüren, zu ertasten ist. Ein leichter Duft von Rosen und Lavendel hüllt mich ein und lässt mich tiefer atmen, um nur noch mehr von seinem Geruch in mich aufnehmen zu können. Als ich die Wärme seiner Haut unter meinen Fingerspitzen und sein leichtes Zittern spüre, weiß ich, dass er sich nicht wehren kann. Und sein Lächeln im Spiegel, ganz so, als hätte er gewusst, wie ich empfinde, macht mir immer noch Angst, aber gleichzeitig bestärkt es mich, genau so weiterzumachen wie bisher. Also dränge ich mein Becken gegen seine Hüften, lasse ihn meine Erektion deutlich an seinem Hüftknochen spüren und wiege mich in Bewegungen, die ansatzweise sanfte leichte Stöße andeuten sollen, zwischen seinen Backen. Dabei streichele ich immer noch seinen Bauch, ohne jedoch tiefer zu rutschen, um ihm Zeit zu geben, sich selbst zu entscheiden, ob er ... Die Option, »nicht zu wollen«, kommt mir gar nicht in den Sinn, stelle ich fest, doch er? Er lächelt mich an, wissend, freundlich, aber irgendwie so, als würde er selbst verzweifelt gegen die Leidenschaft ankämpfen, die in ihm brodelt. Wie konnte ich nur den Ratschlag meiner Tante so infrage stellen? Natürlich hat sie recht, obwohl er gar nicht so den Eindruck macht, als hätte er Angst oder wäre verwirrt. Jetzt liegt es an mir, alles wieder gutzumachen, was ich in den letzten sieben Tagen angestellt habe ... »Angestellt habe«? Hört sich an, als wäre ich wieder der zehnjährige Junge, der einen Streich gemacht und damit einen kleineren Schaden angerichtet hat. »Verlier’ dich nicht«, hallt die Stimme meiner Tante in meinen Ohren wider. Und plötzlich ist mir, als wären meine Gedanken in seinem Kopf, und seine in meinem.
54
Shahin
Wie ich mir gerade die Hände wasche, öffnet sich plötzlich die Tür, und Brix kommt herein. Nicht, dass ich nicht damit gerechnet hätte, nicht wirklich. Ich hab’ seine Blicke schon gesehen, aber Strafe muss sein. Jetzt stutzt er, zögert, schaut mich mit Scheu in den Augen an. Nanu? Gestern so hart? Ich dachte, er
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