Poison (German Edition)
wüsste, wie ich hierher gekommen bin. Meine Klamotten liegen in meinem Loft verstreut, die Tür steht halb offen und ich bin so durchgeschwitzt, dass mein ganzes Laken feucht ist. Beim Aufstehen habe ich Kopfschmerzen, und mir ist schwindlig, sodass ich erstmal in meine Küche gehe, ein Glas mit Leitungswasser und vier Aspirin einfahre. Auf meinen Herd gelehnt, warte ich ab, bis die Wirkung einsetzt.
Als ich wieder einigermaßen klar denken kann, klopft es an meiner Tür. Eine Frau, blauer Kittel oder so was, nicht, dass ich wirklich etwas erkennen würde.
»Post für Herrn Mendelssohn«, ruft sie in mein Loft. Kann die Schnecke nicht die Fresse halten?
»Legen Sie’s auf den Tisch und verschwinden Sie«, ächze ich. »Geht’s Ihnen gut?«, fragt die Schnepfe und kommt rein, guckt sich um und schaut mich aus großen Kalbsaugen an. Als sie mir ihre kalte Hand auf die Stirn presst, sehe ich blaue Posthörnchen durch den Raum schweben.
»Sie haben hohes Fieber, soll ich Ihnen einen Arzt rufen???«
»Geht schon, ich lege mich gleich wieder hin«, murmele ich und greife nach der Post, die sie mir hingelegt hat.
»Sie müssen hier noch unterschreiben«, sagt die Briefträgerin und hält mir einen Einschreibebeleg hin. Ich krakele irgendetwas Unleserliches hin und tappe in Richtung meiner Couch.
»Sie finden ja raus«, murmele ich, wieder in meinen Tran verfallend, und die Briefträgerin geht, wünscht »gute Besserung« und schließt meine Tür mit so viel Schwung, dass es im ganzen Haus hallt. Danke. Genau DAS habe ich jetzt gebraucht. Die Post selbst ist unwichtiger Kram, die Telefonrechnung wird sowieso abgebucht, mein Autohaus hat Frühlingsfest, und Carlos kündigt mir meinen Job. Stop! Wie bitte?
»Sehr geehrter Herr Mendelssohn, blabla, wie in der Dienstbesprechung der letzten Woche besprochen, blabla, kündigen wir Ihnen hiermit fristgerecht in der Probezeit, blablablub.« Unterschrift Dr. Carlos Alfaya, Hurensohn und mein Ex-Chef. Egal, jetzt muss ich schlafen.
In den letzten Atemzügen, die ich noch bewusst mitbekomme, kommt mir der Gedanke in den Kopf, Carlos hätte mich jetzt doch gefickt. Egal. Diese Dunkelheit da vorne ist viel verlockender als irgendwelche Gedanken. Ich falle in ein Loch, werde herumgewirbelt, wache wieder auf – draußen ist es dunkel. Die Uhr zeigt elf Uhr abends, und ich fühle mich besser, auch wenn ich mir meine Seele aus dem Leib huste. Der Brief auf dem Tisch ist jedoch ein Grund, gleich wieder umzufallen, denke ich. Carlos kündigt mir fristlos, das heißt, ich bin ab sofort arbeitslos. Klar, ich habe die 50.000 Euro, und ich habe dieses Monatsgehalt, aber das war’s dann. Er begründet das im Abspringen der »Faceless Frogs«, dieser Newcomer-Band. Bei der Gelegenheit fällt mir auf, dass Nina, meine Sekretärin ... uhm... meine ehemalige Sekretärin, mir eine SMS geschickt hat. Demzufolge hat dieser Leader, die Zicke, wohl gesagt, dass er nur mit mir arbeitet und dass Carlos ihn kreuzweise kann oder Sinngemäßes. Coole Sache. Das heißt, wenn dieser große Konkurrent die »Frogs« will, müssen sie mich einstellen. Darauf brauch ich was zu trinken. Na ja, eine halbe Flasche Jack Daniels ist noch da, eher eine dreiviertel Flasche. Reicht. Ich tausche meine Klamotten noch schnell gegen ein altes Muscle-Shirt und meine Jeans mit den abgeschnittenen Hosenbeinen. Dann drehe ich mir einen Joint und mache die Flasche leer. Was bleibt mir auch anderes übrig? Wieder ein Moment, in dem ich einen Freund brauchen könnte? Ach was. Alles, was ich jetzt brauche, ist Nachschub. Halt, Jim Beam ist noch da. Halbe Flasche. Die mache ich auch noch leer, bevor mich die Müdigkeit einholt und ich wieder einschlafe.
Dass das Fieber mich einholt, bekomme ich gar nicht mehr mit, dazu schlafe ich schon zu fest. Morgen werde ich mir noch ein paar Flaschen von dem Zeug besorgen und warten, bis diese komische Erkältung nachlässt.
61
Shahin
Montag passiert nicht wirklich viel, mal abgesehen davon, dass ich den ganzen Tag auf einen Anruf von Brix warte, der nicht kommt. Ich kann seine Wohnung weder von meinem Balkon im dritten Stock, noch von meiner Terrasse im zweiten – meine Wohnung erstreckt sich ja über zwei Etagen – sehen, sodass mir eigentlich nur noch die Option bleibt, bei ihm zu klingeln, denn ich weiß ja, wo er wohnt. Während ich so darüber nachgrübele, ob ich zu ihm gehen soll oder nicht, suche ich meine Zigaretten, die ich natürlich
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