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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star
Autoren: Martin Cruz Smith
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den Rest hin.
    »Na und?«
    Guri grinste und hob die Pilmeni noch näher vor Arkadis Augen, so als zeige er ihm einen Brillantring. »Kein Fleisch! Ich meine, nicht der übliche Schwindel, wo sie uns statt Fleisch Knorpel und Knochen unterjubeln. Das Zeug hier ist doch Lichtjahre von jedem nur erdenklichen Säugetier entfernt. Sieh doch! Fischmehl und Soße.«
    »Ich brauche deine Uhr.«
    Guri war sichtlich verdutzt. »Willst du wissen, wie spät es ist?«
    »Nein.« Arkadi band Guri seine neue Safariuhr vom Handgelenk. »Ich will mir bloß deine Uhr ausborgen.«
    »Borgen? Hör mal, von allen Wörtern der russischen Sprache, einschließlich >Scheiße< und >Mord<, ist >borgen< vermutlich das gemeinste. >Mieten<, >leasen<, >timesharing< - das sind zeitgemäße Wörter, die sollten wir lernen.«
    »Also schön, ich klau dir deine Uhr.« Der ins Armband eingearbeitete Kompaß hatte sogar Kerben zur Gradanzeige.
    »Du bist ein ehrlicher Mann, Arkadi.«
    »Wirst du Olimpiada melden, weil sie unser Essen panscht?«
    Guri brauchte einen Moment, um zu seinem ursprünglichen Thema zurückzufinden. »Nein, wo denkst du hin! Ich hab mir nur überlegt, daß ich vielleicht, wenn wir nach Wladiwostok zurück kommen, ein Restaurant aufmache. Olimpiada ist ein Genie. Mit der als Kompagnon könnte ich glatt ein Vermögen verdienen.«
    »Viel Glück.« Arkadi band sich die Uhr um.
    »Danke.« Guri zog eine Grimasse. »Sag mal, was soll das heißen, viel Glück?« Als er sah, wie Arkadi zielstrebig aufs Trawldeck zusteuerte, steigerte sich seine Besorgnis. »Wo willst du eigentlich in dem Aufzug hin? Krieg ich meine Uhr auch wieder?«
    Arkadi kletterte über den Verbindungssteg zur Heckreling hinauf und bemühte sich dabei bewußt, den schwerfälligen Gang eines gewichtigeren Mannes nachzuahmen. Er sah sich nicht nach dem Bootsdeck um, aus Angst, einer von Karps Brigade könne dort Wache stehen und ihn womöglich erkennen. Die rote Fahne an der Heckreling war steifgefroren. Nur wenige Fußspuren verunstalteten die schimmernde Patina des Decks. Am Treppenschacht über der Heckrampe standen zwei leidgeprüfte Matrosen mit der roten Armbinde der freiwilligen Ordnungshelfer: Skiba und Slesko mit Sonnenbrillen und Kaninchenfellmützen. Erst als Arkadi direkt vor ihnen stand, erkannten sie ihn. Die beiden wollten ihm den Weg verstellen, doch er winkte sie beiseite, eine brüske Gebärde, die mehr mit der Hand als mit dem Arm ausgeführt wurde, aber unfehlbar die eingelernte Reaktion hervorrief; mit ebendieser Bewegung jagte man Fußgänger aus der Bahn, um einer Wagenkolonne Platz zu schaffen, brachte Hunde auf eine heiße Fährte, ließ Ordonnanzen abtreten oder scheuchte Häftlinge auseinander.
    Slesko wandte ein: »Der Kapitän hat angeordnet, daß .«
    »Niemand darf …« sagte Skiba.
    Arkadi nahm Skiba die Sonnenbrille ab.
    »Warten Sie«, sagte Slesko und reichte Arkadi seine Schachtel Marlboro.
    »Genossen!« Arkadi salutierte. »Betrachtet mich einfach als schlechten Kommunisten.«
    Er stieg die Treppe hinunter. Auf der Plattform am Treppenabsatz, von wo die Trawlmaster normalerweise die aus dem Meer aufsteigenden Netze dirigierten, war das Rettungsseil am Geländerlauf festgefroren, und er mußte es erst losschlagen. Dann kletterte er über das Geländer und wickelte sich das Seil um den Ärmel. Sich an diesem steifen Strick herunterzulassen, war ungefähr so wie an einem Eiszapfen runterzurutschen. Er landete auf den Füßen, die freilich sofort unter ihm wegglitten; er ließ los und schlitterte das restliche Stück der Rampe bis aufs Eis hinab.
    Hoch über ihm beugten sich Skiba und Slesko über die Heckreling, wie zwei Murmeltiere, die von einem Felsen in die Tiefe spähen. Als er wieder auf die Füße kam, orientierte Arkadi sich anhand des Kompasses an Guris Uhr. Das Eis schien ihm hart und fest wie Stein. Er marschierte los.
    Er hätte doppelte Unterwäsche, zwei Paar Socken und Filzstiefel anziehen sollen. Wenigstens hatte er brauchbare Handschuhe, eine Wollmütze unter der Kapuze und die beiden Schwimmwesten, die eine erstaunlich gute Isolierung schufen. Und je energischer er ausschritt, desto wärmer wurde ihm.
    Und desto weniger Sorgen machte er sich. Die Sonnenbrille verdunkelte den gleißenden Nebel weniger, als daß sie ihm Konturen verlieh, so daß er die Schleierschichten weißen Dunstes, die ihn umwehten, zu unterscheiden vermochte. Es war ein ganz ähnliches Gefühl wie damals, als er in einem Flugzeug gesessen und
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