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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star
Autoren: Martin Cruz Smith
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Eagle hätte sich in ein U-Boot verwandelt. Susan kann jede Minute auf die Brücke kommen. Wie wollen Sie ihr und den anderen Amerikanern die Lage erklären?«
    »Ich werde sie in die Messe rufen und ihnen eine vollständige und freimütige Analyse der Situation liefern«, versetzte Martschuk ungerührt. »Hauptsache ist, wir halten die Amerikaner so lange vom Heck fern, bis das Kabel eingeholt ist.«
    Fabrikschiff und Trawler waren beide im Eis festgefroren, den Bug nach Südost gerichtet, auf die Trawler zu, die man aus Seattle erwartete. Doch keines der avisierten Fangboote zeigte sich auf dem Radarschirm, gleichgültig, auf welche Reichweite Arkadi auch schaltete. Nach mehreren erfolglosen Versuchen stellte er das Feld wieder auf fünf Kilometer ein, so daß man die Peilung der Eagle auf dreihundert Grad empfangen konnte.
    »Wenn Genosse Hess sein Kabel in einer Stunde immer noch nicht eingeholt hat«, sagte Martschuk, »werde ich persönlich eingreifen und aus dem Eis ausbrechen. Das wird Zeit brauchen, denn Wasser dieser Kälte hat eine ziemliche Dichte, und das Kabel wird langsam sinken. Dann kann ich zurück und die Eagle befreien. Ich werde Morgans Leute nicht sterben lassen, das verspreche ich Ihnen. Ich bin wie Sie, Renko, ich will die Männer draußen auf dem offenen Meer.«
    »Nein«, sagte Arkadi. »In dem Punkt sind wir uns nicht einig - ich will sie genau da, wo sie jetzt sind.«
    Martschuk wandte den dumpf scharrenden Wischern den Rücken zu. Unter ihm hob sich der Bug; der rostig-grüne Anstrich trug eine gespenstisch glimmende Eisglasur. Dahinter sah man nur ein weißliches Gebräu: kein Wasser, keinen Himmel, keine erkennbare Horizontlinie.
    »Ich darf niemandem erlauben, jetzt das Schiff zu verlassen«, sagte Martschuk. »Erstens stehe ich Hess im Wort, zweitens wäre es sinnlos. Sind Sie schon mal über einen gefrorenen See gegangen?«
    »Ja.«
    »Das hier ist ganz etwas anderes. Das ist nicht der Baikalsee. Die Eisdecke über Salzwasser ist nur halb so stabil wie die über Süßwasser. Sie müssen sich den Unterschied etwa so vorstellen, wie den zwischen Treibsand und Beton. Da, schauen Sie doch raus! In solchem Nebel kann kein Mensch die Richtung halten. Schon nach hundert Metern hätte man die Orientierung verloren. Wenn ein Verrückter sich hier aufs Eis rauswagen würde, dann sollte er sich zuvor von allen verabschieden. Nein, ich darf das nicht erlauben.«
    »Sind Sie jemals hier oben übers Eis gegangen?«
    Martschuk, oder vielmehr seine Silhouette, nickte erinnerungsschwer. »Ja.«
    »Und wie war es?«
    »Es war« - der Kapitän breitete die Arme aus - »wunderschön.«
     
    Aus einem Rettungsspind nahm Arkadi zwei Schwimmwesten und eine Leuchtpistole. Die Westen waren aus orangefarbener Baumwolle über Plastikbriketts, mit Taschen für Notrufpfeifen, die allerdings fehlten, und Gurten, die er in der Taille über seinem Pullover festschnallte. Die Waffe war eine alte Nagant, die man mit einem Speziallauf zum Verschießen von Signalmunition versehen hatte.
    Das Trawldeck schien frei zu sein. Als er es überquerte, bemerkte Arkadi, freilich zu spät, daß jemand ihn vom Aussichtspunkt oben im Kranführerhaus beobachtete. Pawel war nur ein Schatten in der verglasten Kabine, abgesehen von einem dreieckigen Loch, durch das sein Gesicht hervorlugte. Er reagierte jedoch nicht. Erst als er schon im Achterhaus war, begriff Arkadi, daß er sich mit der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze und den auftragenden Westen unter seiner Jacke, zumindest auf die Entfernung hin, unkenntlich gemacht hatte.
    »Arkadi, bist du’s?« Guri schlenderte im Gang vor der Küche auf und ab und drehte eine dampfend heiße Pilmeni zwischen den Händen. Mehlstaub lag wie Schuppen auf seinen Schultern.
    Arkadi fuhr zusammen; es war die schiere Selbstverständlichkeit, mit der sein Kabinengenosse hier aus den Kohldünsten der Kombüse auftauchte, die ihn überraschte. Da es keine Arbeit für sie gab, konnten die Fischer unter Deck bleiben, Domino oder Schach spielen, Filme anschauen und sich ein Nickerchen genehmigen. Das Schiff war aus für sie ungeklärten Gründen zum Stillstand gekommen, aber die Leute waren es gewöhnt, daß man ihnen keine Gründe nannte. Sie spürten, daß die Maschinen unter ihnen im Leerlauf stampften, das Leben ging weiter.
    »Arkadi, das mußt du dir ansehen! Fleischgefüllte Scheißravioli wie üblich, aber …« Guri biß in die Pilmeni hinein, schluckte eine Hälfte hinunter und hielt Arkadi
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