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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star
Autoren: Martin Cruz Smith
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und jene andere Sina mit ihren geheimen Bandaufnahmen. Wäre Sina auf die Eagle geflüchtet, dann hätte sie ihre Bänder mitgenommen und einen gefälschten Abschiedsbrief hinterlassen, aber nicht seitenweise Entwürfe.
    Und sie wäre wohl kaum so naiv gewesen, einen Selbstmord vorzutäuschen, solange ein amerikanisches Schiff ganz in der Nähe war. »Von wo wollte sie zurückkommen?« fragte er.
    Als Susan antwortete, klang ihre Stimme müde und resigniert.
    »George meinte, er brauche mehr als nur ein paar gewöhnliche Fischer, und er hat ja auch bekommen, was er wollte. Er braucht nur einfach ein bißchen Zeit, um seine Mannschaft unter Kontrolle zu bekommen. Mit Sinas Tod hat er nichts zu tun. Mike und Wolowoi konnte er nicht retten, denn er hatte keine Ahnung davon, was ihnen zustoßen würde; er war bloß überrascht, nicht auch dich in dem Bunker zu finden.«
    Arkadi dachte an Karp. »Geh und sag das alles Martschuk.«
    »Ausgeschlossen! Ich kann das niemandem sonst erzählen. Im Notfall würde ich jedes Wort leugnen, und das weißt du auch.«
    »Ja.«
    »Es war bloß ein Spiel«, sagte sie. »Ein Was-wäre-wenn-Spiel.«
    »So wie >Was wäre, wenn es nie morgen würde    Ihre Hand suchte die seine. »Jetzt sollst du mir einmal eine Frage beantworten: Wenn du jetzt die Chance hättest zu entkommen, wenn du von der Polar Star verschwinden könntest und nach Amerika fliehen, würdest du es tun?«
    Arkadi lauschte seiner Antwort, gespannt darauf, ob es wirklich nur ein Spiel sei. »Nein.«
     
    Auf der schmalen Koje schmiegten ihre schlafenden Körper sich fester aneinander, während die Polar Star schwerfällig ihren Bug hob, um ihn dann wieder tief in die Eisdecke zu versenken. Das Geräusch, das dabei entstand, war gedämpft, kaum stärker als ein kühler Windhauch auf der bloßen Haut oder fernes Donnergrollen, das langsam abzieht.
     
    Arkadi zog den Vorhang beiseite, und grauglänzende Helligkeit strömte durchs Bullauge herein. Es war nicht der glitzernde Reflex frisch gefallenen Schnees, sondern ein dichter und weicher gewobenes Licht - feldgraue Morgendämmerung im Beringmeer.
    »Wir liegen fest«, sagte er.
    Die knirschende Reibung von Stahl auf Eis war verstummt, obgleich er in den Fußsohlen noch immer das Vibrieren der laufenden Maschinen spürte. Er knipste die Nachtlampe an und aus; offenbar war der Strom noch da. Das Schiff schien in einem Vakuum zu schweben, war zwar selbst nicht völlig verstummt, aber von Schweigen umgeben.
    »Was ist mit der Eagle?« fragte Susan.

»Wenn wir festsitzen, tut es die Eagle auch.« Er bückte sich und hob Hose und Hemd vom Boden auf.
    »Die Parole heißt, Führer, wir folgen, und nun habt endlich ihr die Führung übernommen?« Susan richtete sich auf.
    »Stimmt genau.«
    »Soviel zum hochgelobten Joint-venture! Die Eagle ist nicht fürs Eis gebaut, und Martschuk weiß das.«
    Arkadi knöpfte sich das Hemd zu. »Geh in den Funkraum«, sagte er. »Versuch, Kontakt mit Dutch Harbor zu bekommen, oder probier’s über den Notrufkanal.«
    »Und wo willst du hin?«
    Arkadi zog sich die Socken an. »Ich werde untertauchen. Die Polar Star ist ein großes Schiff.«
    »Und wie lange wird dir das gelingen?«
    »Ich betrachte es als eine Art sozialistischen Wettstreit.«
    Er schlüpfte in seine Stiefel und nahm die Jacke vom Stuhl. Dunstiges Frühlicht hüllte Susan ein wie eine Wolke Staubflocken. Sie saß reglos da; nur ihre Augen, die Arkadi zur Tür folgten, schienen lebendig.
    »Du willst dich gar nicht verstecken«, entschied sie. »Wo gehst du wirklich hin?«
    Er nahm die Hand vom Türknauf. »Ich glaube, ich weiß jetzt, wo Sina gestorben ist.«
    »Diese ganze Nacht, es ging dir also nur um Sina?«
    »Nein.« Arkadi wandte ihr das Gesicht zu.
    »Warum siehst du so glücklich aus?«
    Fast schämte er sich. »Weil ich noch lebe. Wir beide leben noch. Ich denke, wir sind wohl doch keine Motten.«
    »Okay.« Susan beugte sich vor. »Ich werde dir dasselbe sagen, was ich schon Sina gesagt habe: Geh nicht!«
    Aber er war schon draußen.
    Die Polar Star lag auf dem Grund eines weißen Brunnens. Nebel grenzte das Fabrikschiff von allen Seiten ein, und das Sonnenlicht, teils von der Eisdecke reflektiert, teils von Nebelschwaden gefiltert, schuf eine seltsame Beleuchtung - unscharf und überwältigend zugleich.
    Der Schiffsrumpf glitzerte; wirklich überall hatte sich Eis gebildet. Das Deck war eine milchweiße Schlittschuhbahn. Das Netz rings um das
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