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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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fühlte Arkadi sich an die Besatzungsmitglieder eines U-Bootes erinnert, die er einmal nach ihrer Rückkehr von einer Polarfahrt gesehen hatte. Die Augen rot und entzündet, der Gang schlurfend und unsicher. Das Haar des kleinen Mannes war steif und so zerwühlt, als sei er von einer Katze angefallen worden. Sein Pullover stank nach Pfeifentabak. Aus der Kaffeemaschine quollen öligschwarze Tropfen. Hess schenkte zwei Tassen ein, gab einen reichlichen Schuß Kognak dazu und reichte die eine Tasse Arkadi. »Tod den Franzosen«, sagte er.
    »Warum nicht.« Arkadi nickte.
    Sein Herz reagierte sofort auf den Kaffee und begann unruhig zu schlagen. Hess seufzte und ließ sich wie in Zeitlupe in einen Sessel sinken. Sein müder Blick heftete sich auf eine hüfthohe, vertikale Glasröhre mit Stativ und Stromanschluß. Ultraviolette Strahlung. Sonnenlicht. Vitamin D. In Sibirien pflegten sie im Winter die Kinder um solche Röhren zu versammeln.
    Auf Hess’ bleichem Gesicht erschien ein Lächeln. »Meine Frau bestand darauf, daß ich das Ding mitnehme. Ich glaube, sie versucht sich einzubilden, ich wäre im Südpazifik unterwegs. Na, schmeckt der Tee?«
    Tee und Kaffee, Franzosen und Amerikaner. Hess hatte den Hang, einen in die Irre zu führen - was Arkadi nur natürlich vorkam.
    Es gab keinen Elektroingenieur der Flotte; das war einer jener Phantasietitel, die es einem Offizier vom KGB oder vom Marinenachrichtendienst gestatteten, ohne Aufsehen von Schiff zu Schiff zu wechseln. Die Frage war nur, welcher dieser beiden Organisationen der liebenswürdige Anton Hess angehörte. Der beste Indikator dafür schien Wolowoi, der Politoffizier der Polar Star, der Hess zugleich mit Respekt und Feindseligkeit behandelte. Auf jeden Fall wäre ein Name wie Hess beim KGB, der sich derzeit gern als rein russischer Klub aufspielte, von Nachteil gewesen. Bei der Marine hingegen zählten, sofern einer nicht Jude war, allein Kompetenz und Tüchtigkeit.
    Auf der Karte reckte Alaska sich sehnsüchtig Sibirien entgegen. Oder war es umgekehrt? Wie auch immer, jedenfalls übersprenkelten sowjetische Trawler das Meer von Kamtschatka und vorbei am Inselbogen der Aleuten bis hinunter nach Oregon. Arkadi war sich bisher nicht bewußt gewesen, wie intensiv sie die Gewässer vor der amerikanischen Küste als Fanggründe nutzten. Gewiß, bei den russisch-amerikanischen Joint-ventures dienten die russischen Trawler als reine Verarbeitungsbasen; jede Flotte hatte ihre Begleitmannschaft amerikanischer Fangboote, und nur ein großes Fabrikschiff wie die Polar Star konnte unabhängig mit ihrem eigenen Trupp amerikanischer Fahrzeuge operieren. Der rote Punkt, der die Polar Star repräsentierte, befand sich etwa zwei Tagesreisen nördlich von Dutch Harbor und außer Reichweite sämtlicher anderer Verbände.
    »Genosse Hess, verzeihen Sie bitte, wenn ich Sie störe …«
    Hess schüttelte den Kopf, erschöpft, aber nachsichtig. »Aber Sie stören keineswegs. Ich freue mich, wenn ich Ihnen helfen kann.«
    »Also gut«, sagte Arkadi. »Angenommen, Sina Patiaschwili hat sich nicht aus Versehen selbst zusammengeschlagen, erstochen und über Bord geworfen.«
    »Sie haben Ihre Meinung geändert!« Hess war hocherfreut.
    »Und nehmen wir zudem an, daß wir den Fall hier an Bord jetzt weiteruntersuchen. Keine richtige Untersuchung mit Detektiven und Labors, sondern nur mit den kümmerlichen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen.«
    »Wir haben immerhin Sie.«
    »Dann müssen wir die, wenn auch geringe, Möglichkeit einkalkulieren, daß wir tatsächlich etwas herausfinden. Vielleicht sogar auf sehr vieles stoßen, darunter Dinge, nach denen wir gar nicht gesucht haben. Und darum brauche ich Ihren Rat.«
    »Wirklich?« Hess beugte sich vor, seine ganze Haltung signalisierte Kontaktbereitschaft.
    »Sehen Sie, mein Blickfeld - das eines Mannes, der im Frachtraum eines Schiffes Fische ausnimmt - ist stark begrenzt. Sie dagegen denken in Kategorien, die das ganze Schiff, ja die gesamte Flotte einschließen. Die Arbeit eines Elektroingenieurs der Flotte ist bestimmt sehr schwierig.« Besonders so weit weg von der Flotte, dachte Arkadi. »Ich stelle mir vor, daß Sie Faktoren und Überlegungen in Erwägung ziehen können, von denen ich keine Ahnung habe. Von denen ich vielleicht auch keine Ahnung haben sollte.«
    Hess runzelte die Stirn, als könne er sich beim besten Willen nicht vorstellen, was für Faktoren das sein sollten.
    »Sie meinen, es könnte aus bestimmten Gründen

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