Polar Star
ratsam sein, keine Fragen zu stellen? Und wenn es solche Gründe gäbe, wäre es unter Umständen besser, erst gar nicht damit anzufangen, Fragen zu stellen, statt die Untersuchung stoppen zu müssen, wenn sie bereits in vollem Gange ist?«
»So gut hätte ich es selbst nicht formulieren können«, sagte Arkadi.
Hess rieb sich die Augen, hantierte mit seinem Tabaksbeutel und stopfte sich eine Pfeife. Es war eine Seemannspfeife, so konstruiert, daß sie dem Raucher beim Kartenstudium nicht im Wege war. Hess zündete sie an und paffte mit kurzen, saugenden Zügen; es klang wie das Knistern eines Heizkörpers.
»Genosse, einen solchen Grund kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Die Tote war allem Anschein nach ein ganz gewöhnliches Mädchen, jung, vielleicht ein bißchen locker in ihrer Auffassung von Moral. Ich glaube im übrigen, ich weiß, wo die Lösung für Ihr Problem liegt. Wenn Ihnen etwas ganz und gar Ungewöhnliches unterkommen sollte, irgendwas, das Ihnen Kopfzerbrechen macht, dann zögern Sie bitte nicht, sich damit zuallererst an mich zu wenden.«
»Es könnte mitunter schwierig sein, Sie zu finden.« Schließlich wußte ich bis gestern abend nicht einmal, daß Sie an Bord sind, dachte Arkadi.
»Die Polar Star ist zwar ein großes Schiff, aber eben doch nur ein Schiff. Kapitän Martschuk oder sein Chefmaat wissen immer, wo ich zu finden bin.«
»Sein Chefmaat, nicht der Erste Maat?«
»Nicht Genosse Wolowoi, nein.« Hess lächelte, als sei das ein ganz und gar abwegiger Gedanke.
Arkadi hätte gern mehr über den Mann gewußt. Jahrhundertelang hatte man deutsche Bauern ermuntert, sich an der Wolga anzusiedeln, Land urbar zu machen und zu kultivieren; das war so geblieben bis zum Großen Vaterländischen Krieg, als Stalin die Deutschen im Vorfeld der faschistischen Invasion von ihren Höfen vertrieben und über Nacht nach Asien verfrachtet hatte.
Hess seinerseits betrachtete Arkadi nicht minder forschend.
»Ihr Vater war doch der General Renko, nicht wahr?«
»Ja.«
»Wo haben Sie Ihren Militärdienst abgeleistet?«
»In Berlin.«
»Ach, wirklich? Und was hatten Sie dort für eine Aufgabe?«
»Ich hab in einer Funkstation gesessen und amerikanische Sender abgehört.«
»Also waren Sie beim Geheimdienst!«
»Kaum der Rede wert.«
»Aber immerhin haben Sie Feindbewegungen überwacht. Und es sind Ihnen keine Fehler unterlaufen.«
»Zumindest habe ich nicht aus Versehen irgendeinen Krieg angezettelt, falls Sie das meinen.«
»Einen besseren Intelligenztest gibt es gar nicht.« Hess strich sein Haar glatt, das sich allerdings gleich wieder aufrichtete wie ein widerspenstiger Bart. »Sagen Sie mir ganz offen, was Sie brauchen.«
»Ich müßte von meinen normalen Pflichten freigestellt werden.«
»Natürlich.«
Arkadi bemühte sich, seine Stimme ruhig, ja unbeteiligt klingen zu lassen, doch in Wahrheit ließ jedes Wort das Blut in seinen Adern rauschen, ein Gefühl, das ihn erregte und gleichzeitig mit Scham erfüllte. »Ich kann zwar mit Slawa Bukowski zusammenarbeiten, aber ich werde außerdem einen Assistenten meiner eigenen Wahl brauchen. Und ich muß die Besatzung befragen, einschließlich der Offiziere.«
»Klingt alles vernünftig, solange es ohne Aufsehen geschieht.«
»Und wenn nötig, müßte ich auch die Amerikaner befragen dürfen.«
»Warum nicht? Ich sehe keinen Grund, warum die nicht kooperieren sollten. Schließlich geht es hier ja nur um eine Voruntersuchung zu den Ermittlungen in Wladiwostok.«
»Allerdings habe ich so meine Probleme mit ihnen.«
»Ich glaube, die Kabine der Chefbevollmächtigten liegt direkt unter meiner. Sie könnten jetzt gleich mit ihr sprechen.«
»Alles, was ich sage, scheint sie zu ärgern.«
»Aber ich bitte Sie! Wir sind hier doch alle ganz friedlich zusammen, um zu fischen. Reden Sie über das Meer.«
»Das Beringmeer?«
»Warum nicht?«
Hess hatte die Hände über dem Bauch gefaltet und sah aus wie ein kleiner deutscher Buddha. Er wirkte fast gelöst. War er doch vom KGB? Manchmal mußte man schon sehr gewieft sein, um das herauszufinden.
Arkadi sagte: »Als ich das erste Mal vom Beringmeer hörte, da war ich gerade acht Jahre alt. Eines Tages kam mit der Post ein neues Blatt für unsere Enzyklopädie. Allen Abonnenten wurde die gleiche Einlage zugeschickt, zusammen mit den notwendigen Erläuterungen, wie Beria herauszuschneiden sei, um statt dessen den so wichtigen neuen Artikel über das Beringmeer einkleben zu können.
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