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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Lachsrogen an Bord nahmen. Ein solches Bier, eiskalt wie die See, hätte ihm jetzt gutgetan; damit konnte sich Obidins lauwarmes Gebräu, von dem man nur Kopfschmerzen bekam, nicht vergleichen.
    Die Saunatür öffnete sich wieder, und in dem wallendem Dampf sah es zunächst so aus, als hätte der Neuankömmling seine Schuhe anbehalten; seine Füße waren dunkelblau, ja fast violett. Doch als er genauer hinsah, erkannte Arkadi, daß sie tätowiert waren - mit einem Muster aus blumig wuchernden Kringeln, von denen die Zehen abstachen wie grüne Klauen. Das Greifenmuster reichte über die Beine des Mannes bis hinauf zu den Knien. Seine Gestalt hätte ein Wissenschaftler vermutlich als mesomorph bezeichnet, es handelte sich um einen muskelbepackten Athletentyp, dessen Brustkasten fast ebenso tief wie breit war. Einige wohl schon ältere Tätowierungen waren verwischt und ausgebleicht, doch Arkadi erkannte dralle, in Ketten gelegte Frauen, die an den Schenkeln emporkrochen, direkt auf die rotglühenden Flammen zu, die über den Rand des Handtuchs züngelten, das der Mann um die Hüften geschlungen hatte. Seinen Bauch zierten blaue Wolken. Auf der rechten Brust prangte eine blutende Wunde mit der Inschrift Jesus Christus, auf der linken hielt ein Geier ein Herz im Schnabel. Dazwischen war die Brust des Mannes mit Narbengewebe überzogen. In den Arbeitslagern Sibiriens war dergleichen nicht ungewöhnlich: Wenn ein Lagerverwalter einen Häftling mit Tätowierungen erblickte, die ihm nicht gefielen, dann brannte er sie mit Kaliumpermanganat heraus. Die Arme des Mannes schimmerten grün; der rechte war mit inzwischen verblaßten Drachen tätowiert, der linke mit den Namen von Gefängnissen, Arbeits- und Durchgangslagern: Wladimir, Taschkent, Potma, Sosnowka, Kojma, Magadan und andere, eine Liste umfangreicher persönlicher Erfahrungen. Die Tätowierungen reichten bis zum Hals und zu den Handgelenken, das Ganze erweckte den Eindruck, als trüge der Mann einen hautengen dunklen Anzug oder als schwebten ein bleicher Kopf und ein Paar Hände frei im Raum. Im übrigen verrieten diese Tätowierungen dem Kundigen gleich, wen er da vor sich hatte: einen »Urka« nämlich, wie man in Rußland die Berufsverbrecher nannte.
    Der Mann war niemand anderes als der Trawlmaster Karp Korobets. Er nickte Arkadi breit grinsend zu und sagte: »Sie sehen ja aus wie Hering mit Spucke.«
    »Ich kenne Sie.« Das begreifen und es aussprechen war eins.
    »Zwölf Jahre ist es nun her«, sagte Karp. »Neulich oben im Gang, als Sie anfingen, Fragen zu stellen, da hab ich mir gleich gesagt, Renko, Renko, den Namen hab ich doch schon mal gehört.«
    »Paragraph 146, bewaffneter Raubüberfall.«
    »Aber Sie haben versucht, mich wegen Mordes an den Galgen zu bringen«, erinnerte Korobets ihn grimmig.
    Auf einmal arbeitete Arkadis Gedächtnis wieder tadellos. Vor zwölf Jahren war Korobets ein ungeschlachtes Riesenbaby gewesen und hatte sich sein Geld als Zuhälter in Marienhain, einem verrufenen Viertel Moskaus, verdient, wo er Huren für sich arbeiten ließ, die doppelt so alt waren wie er. Normalerweise hatte die Miliz ein Stillhalteabkommen mit den Luden, besonders zu der Zeit, als es in Rußland offiziell gar keine Prostitution gab, aber dieser Junge hatte sich angewöhnt, die Kunden seiner Pferdchen auszurauben, sobald sie die Hosen runterließen. Ein alter Herr, ein Kriegsveteran mit einer Brust voller Orden, setzte sich zur Wehr, und Karp brachte ihn mit einem Hammer zum Schweigen. Sein Haar war zu der Zeit noch heller gewesen und länger, über den Ohren zu auffallenden Zöpfchen geflochten. Arkadi, damals Chefinspektor beim Morddezernat, war im Prozeß später lediglich als Zeuge aufgetreten. Aber daß er Korobets nicht gleich wiedererkannt hatte, dafür gab es noch einen anderen Grund. Karps Gesicht hatte sich nämlich verändert, sein Haaransatz war erheblich niedriger als früher. Wenn ein Häftling sich Parolen wie »Sklave der USSR« auf die Stirn tätowieren ließ, wurde das operativ entfernt, ein Eingriff, bei dem die Kopfhaut ein gutes Stück nach vorn verschoben wurde.
    »Was hatten Sie denn draufstehen?« Arkadi wies mit dem Zeigefinger auf Karps Stirn.
    »»Kommunisten trinken das Blut des Volkes««, antwortete der Trawlmaster stolz.
    »Was denn, das alles auf der Stirn?« Arkadi war ehrlich beeindruckt. Sein Blick fiel auf Karps vernarbte Brust. »Und da?«
    »>Die Partei bedeutet Tod.< Das haben sie in Sosnowka mit Säure weggeätzt.

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