Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
Vom Netzwerk:
Dann habe ich mir draufschreiben lassen: >Die Partei ist eine Hure.< Als sie das weggebrannt hatten, war die Haut zu rauh und ließ sich nicht mehr tätowieren.«
    »Eine kurze Karriere. Nun ja, auch Puschkin ist jung gestorben.«
    Karp wedelte eine Dampfwolke vor seinem Gesicht fort. Seine schieferblauen Augen lagen in einer Hautfalte, die sich quer über den Nasenrücken zog. Er strich sich das nasse Haar aus der Stirn. Es war oben auf dem Kopf füllig, an den Seiten aber kurz, ganz im linientreuen Sowjetstil. Sein Körper glich dem eines Neandertalers - eines tintengeschwärzten Neandertalers.
    »Eigentlich müßte ich Ihnen dankbar sein«, sagte Karp. »Immerhin habe ich in Sosnowka einen Beruf erlernt.«
    »Danken Sie nicht mir, sondern den Leuten, die Sie ausgeraubt und zusammengeschlagen haben. Die haben Sie identifiziert.«
    »Sie haben uns beigebracht, wie man Fernsehgehäuse baut. Hatten Sie je einen Melodia? Wenn ja, vielleicht habe ich ihn gemacht. Natürlich ist das jetzt schon lange her, das war vor meiner Resozialisierung. Sehen Sie, wie sonderbar das Leben manchmal spielt? Heute bin ich ein Seemann erster Klasse, und Sie sind einer zweiter Klasse, das heißt also, ich stehe über Ihnen.«
    »Das Meer ist eben ein sonderbarer Ort.«
    »Sie waren der letzte, den ich auf der Polar Star erwartet hätte. Was ist denn aus dem Chefinspektor geworden, diesem arroganten Pinkel?«
    »Auch an Land gibt es sonderbare Orte.«
    »Für Sie ist jetzt einfach alles sonderbar. So geht’s jedem, der seinen Schreibtisch und dann auch noch seinen Parteiausweis verliert. Nun verraten Sie mir mal, was Sie für diesen sogenannten Flotteningenieur anstellen.«
    »Ich arbeite nicht für ihn, sondern für den Kapitän.«
    »Scheiß auf den Kapitän. Was glauben Sie denn, wo Sie sind? Immer noch in Ihrem warmen Büro in Moskau? Auf der Polar Star gibt’s rund zehn Offiziere, alle übrigen gehören zur Mannschaft. Wir haben hier unser eigenes System, wir regeln unsere Probleme selbst. Ich jedenfalls. Warum fragen Sie überall nach Sina Patiaschwili?«
    »Sie hatte einen Unfall.«
    »Das weiß ich auch, schließlich habe ich sie ja gefunden. Aber wenn es bloß ein Unfall war, warum hat man Sie dann extra aus der Fabrik geholt?«
    »Wegen meiner Erfahrung. Sie wissen doch, daß ich Erfahrung habe. Und was wissen Sie von Sina?«
    »Sie war eine rechtschaffene und fleißige Arbeiterin. Für uns alle ist ihr Tod ein großer Verlust.« Karp grinste so breit, daß seine goldenen Backenzähne sichtbar wurden. »Wie Sie sehen, habe ich’s gelernt, diesen ganzen Scheiß runterzubeten.«
    Arkadi erhob sich, und nun standen sie einander Auge in Auge gegenüber; an Gewicht freilich konnte er es mit dem Trawlmaster nicht aufnehmen. »Dumm von mir, daß ich Sie nicht gleich wiedererkannt habe. Aber noch mal so dumm, mir zu erzählen, wer Sie sind.«
    Karp musterte ihn gekränkt. »Und ich dachte, es würde Sie freuen zu sehen, wie ich mich gebessert habe und was für ein vorbildlicher Arbeiter ich geworden bin. Ich hatte gehofft, nun könnten wir Freunde werden, aber ich sehe, Sie haben sich kein bißchen geändert.« Er seufzte, beugte sich dann aber in versöhnlicher Haltung vor, wie um Arkadi seinen Rat anzubieten: »In einem der Lager, in denen ich gesessen habe, war ein Typ, der mich an Sie erinnerte. Ein politischer Häftling. Ein Armeeoffizier, der sich geweigert hatte, mit seinen Panzern gegen die Konterrevolutionäre in der Tschechoslowakei vorzurücken. Im Lager war ich sein Gruppenführer, aber der Kerl konnte einfach nicht gehorchen, er benahm sich, als sei er immer noch in Amt und Würden. Wir arbeiteten an einem Bahndamm. In den umliegenden Wäldern mußten wir Bäume fällen und auf Güterwagen verladen. Wir waren ein Bauholz-Kollektiv, verstehen Sie? Leisteten gesunde Aufbauarbeit bei dreißig Grad unter Null. Richtig haarig wird die Sache, wenn man die Stämme endlich oben hat auf der Plattform; da muß man nämlich höllisch aufpassen, daß sie einem nicht wieder runterkullern. Komische Geschichte, daß ausgerechnet dieser eine Gebildete in meinem Trupp, eben der Offizier, diesen Unfall hatte, und er konnte nicht mal ehrlich zugeben, daß es ein Unfall gewesen war. Er behauptete, es hätten ihn welche auf den Schienen überfallen und fertiggemacht. Angeblich mit dem Griff von einer Axt. Ich meine, Oberarme, Unterarme, Hände, Finger - einfach alles hin. Können Sie sich das vorstellen, Renko?
    Wir haben wohl beide schon

Weitere Kostenlose Bücher