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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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wie ihre schwarz glänzenden Oberflächen zischend zu mattem Grau trockneten. Der überhitzte Dampf wurde dichter. In der Ecke lehnte eine Birkenrute, mit der, wer wollte, sich nach einem schweren Gelage das Gift aus dem Körper peitschen konnte, doch Arkadi hatte nie etwas von Selbstzüchtigung gehalten, auch nicht unter dem Deckmantel medizinischer Autorität.
    »Hast du vor, Stoff einzukaufen?« fragte eine Stimme auf englisch durch die Dampfwolke. Es war die des amerikanischen Fischereibeobachters Lantz. »Schnee oder Hasch, in Dutch Harbor kriegst du alles. Eine Menge dieser Fischerboote arbeiten auf die krumme Tour und beschaffen das Zeug auf Umwegen aus Baja California oder sogar aus Kolumbien.«
    »Ich halte mich lieber an Bier.« Die andere Stimme gehörte dem Bevollmächtigten Day.
    »Hast du’s je mit Rock probiert? Raucht man in der Pfeife. Unheimlich stark. Entspannt dich im Handumdrehn.«
    »Danke, nichts für mich.«
    »Hast du etwa Angst? Ich besorg dir gern ‘nen Cocktail zur Probe, sieht völlig harmlos aus, wie ’ne ganz normale Zigarette.«
    »Ich rauche doch gar nicht. Wenn wir diese Fahrt hinter uns haben, gehe ich zurück auf die Uni. Ich habe nicht vor, im Yukon zu verenden. Also laß mich zufrieden.«
    »Muttersöhnchen«, sagte Lantz, als Day von der umwölkten Bank herunterstieg und hinausging. Arkadi hörte, wie Lantz sich in sein Handtuch schneuzte und dann ebenfalls langsam von der Bank herunterrutschte. Er bestand nur aus Haut und Knochen, sah aus wie ein bleicher, langgliedriger Salamander. Als er merkte, daß jemand auf der unteren Bank Platz genommen hatte, kniff er die Augen zusammen und erkannte schließlich Arkadi. »Sieh mal an, wer da rumschleicht und die Leute belauscht! Na, wie steht’s mit Ihnen, Renko? Werden Sie sich Ihre amerikanischen Dollar ausbezahlen lassen und in Dutch auf den Kopf hauen?«
    »Ich glaube nicht, daß ich an Land gehe«, sagte Arkadi.
    »Niemand wird gehen. Wie ich höre, haben Sie den Leuten die Sache vermasselt.«
    »Könnte hinkommen.«
    »Und ich habe auch gehört, daß, selbst wenn alle anderen gehen, Sie auf jeden Fall an Bord bleiben. Also was sind Sie, ein Bulle oder ein Gefangener?«
    »Die Posten auf so einem Hochseedampfer sind begehrt.«
    »Ja, wenn es ab und zu Landurlaub gibt, aber nicht, wenn man an Bord eingesperrt ist. Armer Genosse Renko.«
    »Klingt ja ganz so, als würde ich eine Menge verpassen.«
    »Ich würde eher sagen, Sie haben ‘ne ganze Menge nötig. Sie werden also schön hierbleiben, an Deck auf und ab marschieren und hoffen, daß ein lieber Mitmensch Ihnen ein Päckchen Zigaretten mitbringt. Ein Jammer.«
    »Das ist es.«
    »Ich wird Ihnen ‘ne Rolle Drops mitbringen. Das wird der Höhepunkt Ihrer Reise.«
    Als Lantz die Tür öffnete und hinausging, entwich mit ihm eine Dampfwolke. Arkadi goß Wasser in die Kiste und ließ sich wieder auf die Bank fallen. Es machte ihm angst, daß selbst ein Amerikaner sehen konnte, wie tief er im Dreck saß.
    Wie wenig er doch die Situation bis jetzt durchschaute; auch das machte ihm angst. Es ergab keinen Sinn, daß Sina das Fest verlassen haben sollte, nur um den Kapitän zu fragen, mit wem sie für die Einkäufe in Dutch Harbor eingeteilt war. Aber offenbar hatte sie es doch getan und war dann an Deck geblieben. Nach Skibas und Sleskos Aufzeichnungen hatte Lidia um 11 Uhr 15 das Deck überquert, und da war Sina noch am Leben gewesen und hatte draußen an der Heckreling gestanden. Vierzehn Minuten später war Ridley auf die Eagle zurückgekehrt, und fünfundfünfzig Minuten später hatte der Trawler abgelegt. Sina war zu klug, als daß sie einen Fluchtversuch unternommen hätte, solange ein amerikanisches Fangboot am Fabrikschiff festgemacht hatte. Wladiwostok würde in einem solchen Fall verlangen, daß man die Eagle und die Merry Jane durchsuchte, und die Gesellschaft, die zur Hälfte in russischer Hand war, würde ohne Frage ihre Einwilligung dazu geben. Nach dem, was Martschuk ihm erzählt hatte, bot ein Fluchtversuch nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Amerikaner weiter entfernt waren, als man nach menschlichem Ermessen schwimmen konnte, und wenn von den Rettungsgeräten an Bord der Polar Star auch nicht eines fehlte. Wenn Flucht also praktisch unmöglich war, was hatte Sina dann gewollt?
    Er verspürte Lust auf ein Bier. Die Trawler vor Sachalin hatten sich ein Zubrot verdient, indem sie Kisten japanischen Biers, festgeschnallt an Krabbenkörben, im Tausch gegen

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