Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
Vom Netzwerk:
sehen Sie, eines ist mir ganz und gar unverständlich. Lidia behauptet, sie sei aus der Messe hier herüber zum Ruderhaus gekommen, um eine Zigarette zu rauchen, und dabei habe sie Sina zufällig am Heck stehen sehen. Von hier aus kann man das Heck jedoch kaum erkennen, von einer Person an der Reling ganz zu schweigen. Die würde man nicht einmal mit so scharfen Augen, wie Lidia sie hat, wahrnehmen. Dazu müßte man schon viel näher herangehen. Das wären dann alles in allem an die zweihundert Meter, die ganze Länge des Schiffes hin und wieder zurück, die Lidia bei der Kälte zurückgelegt hätte, nur um eine Zigarette zu rauchen, wobei sie ganz zufällig auf eine junge Rivalin stößt, die noch in derselben Nacht ums Leben kommt. Warum sollte Lidia so was tun?«
    »Vielleicht ist sie dumm.«
    »Nein, ich glaube, sie liebt Sie.«
    Martschuk schwieg. Der Schnee auf der Windschutzscheibe pappte zu nassen Kratern zusammen; die Außentemperatur mußte also gestiegen sein. Unter der Last des Schnees beruhigte sich auch das Wasser, und die Polar Star schien mit der Geschwindigkeit herunterzugehen und langsamer durch die Nacht zu fahren.
    »Sie ist mir gefolgt«, sagte Martschuk. »Ich fand einen Zettel unter meiner Tür durchgeschoben, auf dem sie mich um eine Unterredung bat: >Triff mich um elf am Heck.< Mehr stand nicht drauf.«
    »Aber der Zettel war von Sina?«
    »Ich habe ihre Schrift wiedererkannt.«
    »Also hatte sie Ihnen schon vorher geschrieben?«
    »Ein-, zweimal, ja. Lidia kam dahinter. Frauen haben ein feines Gespür in solchen Dingen. Sie wissen plötzlich ganz einfach, was los ist. Lidia ist eifersüchtiger als meine Frau. Jedenfalls, Sina wollte sich bloß erkundigen, mit wem sie in Dutch Harbor zum Landgang eingeteilt sei. Sie wollte keine alten Weiber am Hals haben. Ich habe ihr erklärt, daß nicht ich die Liste zusammenstelle, sondern Wolowoi.«
    »Als Sie damals in Wladiwostok die Nacht mit ihr verbrachten, sind Sie da zu Sina nach Hause gegangen?«
    »Ich hätte sie doch nicht mit zu mir nehmen können.«
    »Beschreiben Sie mir ihre Wohnung.«
    »Sie lag in der Russkaia-Straße. Eigentlich recht nett: afrikanische Skulpturen, japanische Drucke und eine Waffensammlung. Sie teilte sich die Wohnung mit irgendeinem Kerl, der aber gerade nicht in der Stadt war. Ich hätte ihn angezeigt wegen der Waffen, aber wie hätte ich erklären sollen, daß ich davon wußte? Dem Oberkommando der Flotte hätte das bestimmt nicht geschmeckt: ein führender Kapitän, der einen Mann anschwärzt, nachdem er dessen Freundin vernascht hat. Ich weiß gar nicht, warum ich Ihnen das alles erzähle.«
    »Weil Sie später alles leugnen können. Darum haben Sie mich doch überhaupt ausgewählt, um notfalls alles, was ich herausfinde, abtun zu können, sofern es Ihnen nicht in den Kram paßt. Was ich nicht verstehe ist, warum Sie überhaupt eine Untersuchung wollten, obwohl Sie doch wußten, was für Geschichten dabei an den Tag kommen würden. War das nun Leichtsinn oder einfach Dummheit?«
    Martschuk schwieg so lange, daß Arkadi schon glaubte, er habe seine Frage vielleicht nicht gehört. Wie auch immer, der Kapitän war schließlich nicht der erste, der wegen einer Frau schwach geworden war.
    Als Martschuk endlich antwortete, war seine Stimme halb erstickt vor Selbstekel. »Ich will Ihnen sagen, warum ich die Untersuchung angeordnet habe. Vor zwei Jahren hatte ich das Kommando über einen Trawler im Japanischen Meer. Eines Nachts, wir hatten schlechtes Wetter, Windstärke neun, aber ich wollte um jeden Preis mein Soll erfüllen, denn man hatte mich eben erst befördert, also kurz und gut, ich ließ meine Männer an Deck antreten. Ein Brecher schlug über die Breitseite. Das kommt vor. Wenn’s vorüber ist, zählt man seine Leute. Uns fehlte in jener Nacht ein Mann. Seine Stiefel waren noch an Deck, aber sonst war nichts mehr von ihm zu sehen. Ob die Welle ihn über die Reling geworfen hat? Oder die Rampe runter? Ich weiß es nicht. Natürlich haben wir alle Maschinen gestoppt und sofort nach ihm gesucht, was allerdings bei dem Seegang ziemlich aussichtslos war. Im eisigen Wasser dürfte er binnen weniger Minuten an Unterkühlung gestorben sein. Oder aber er hat eine ordentliche Portion geschluckt und ist gleich auf Grund gegangen. Wir fanden jedenfalls keine Spur von ihm. Ich telegrafierte dem Flottenkommando in Wladiwostok und meldete den Todesfall. Von dort kam die Anweisung, die Suche fortzusetzen und außerdem zu

Weitere Kostenlose Bücher