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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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das Auge nach längerem Aufenthalt auf See nach Farbe hungert. Die Wolkendecke war aufgerissen, und hier und da fiel ein schüchterner Sonnenstrahl auf die Bucht. Von den flacheren Klippen ließen sich Papageitaucher wie Felsbrocken ins Wasser plumpsen, während von den höheren Adler aufstiegen und im Erkundungsflug über die Polar Star schwebten. Es waren ungeheuer große Vögel mit bärenbraunem Gefieder und majestätischen weißen Köpfen. Ihnen zuzusehen, gab ihm das Gefühl, endlich wieder obenauf zu sein.
    Die Amerikaner waren bereits mit dem Lotsenboot an Land gefahren. Susan würde nach Hause zurückkehren und als Geschenk der Mannschaft eine Fischerjacke, dekoriert mit Anstecknadeln aus allen größeren russischen Häfen, mitnehmen. Ehe sie von Bord gegangen war, hatte sie so großzügig Abschiedsküsse verteilt wie jemand, der endlich dem verhaßten Gefängnis entrinnt. Das Lotsenboot hatte einen neuen Chefbevollmächtigten gebracht, der einen Koffer mit einhunderttausend Dollar dabeihatte, die Devisen, die der Polar Star für den Landgang zustanden. Die gesamte Mannschaft hatte vor der Kapitänskajüte gewartet, während drinnen das Geld erst einmal und dann noch einmal gezählt wurde.
    Und nun standen Arkadis Kollegen an der Steuerbordreling Schlange, um über die Gangway das Rettungsboot zu besteigen, das sie samt den ihnen zugeteilten Dollars in den Hafen bringen sollte, von dem sie die ganze Zeit über geträumt hatten. Was sie sich freilich nicht anmerken ließen. Ein russischer Seemann mag zwar zu besonderen Anlässen die Kleidung wechseln, aber er rasiert sich deswegen nicht unbedingt. Er putzt seine Schuhe, streicht sich die Haare nach hinten und zieht sein Sportjackett an, auch wenn ihm dessen Ärmel zu kurz geworden sind. Die Männer auf der Polar Star trugen außerdem ein möglichst unbeteiligtes Gesicht zur Schau, nicht nur, um Wolowoi einen Gefallen zu tun, sondern auch, weil ihr eigener Stolz es so verlangte; nur ihre wachsam zusammengekniffenen Augen verrieten Erwartung und Vorfreude.
    Es gab indes auch Ausnahmen. So war Obidins Blick unter dem breiten Schild einer plumpen Bauernmütze starr auf die Kirche jenseits des Wassers gerichtet. Kolja Mer hatte sich seine Taschen mit Papptöpfen vollgestopft; er musterte die Hügel am Horizont wie ein zweiter Darwin, der sich den Galapagosinseln nähert. Die Frauen trugen ihre hübschesten Baumwollkleider, freilich unter der üblichen wärmenden Schicht von Pullovern und Kaninchenfellen. Auch sie hatten grimmige Touristenmienen aufgesetzt, doch wenn sie einander anschauten, konnten sie sich ein nervöses Lachen nicht verkneifen; hin und wieder winkten sie zu Natascha hinauf, die neben Arkadi auf dem Bootsdeck stand.
    Nataschas Wangen leuchteten fast so rot wie ihr Lippenstift, und sie trug nicht einen, sondern zwei Kämme im Haar, so als würde sie an Land Extra-Munition brauchen. »Ich bin zum erstenmal in den Vereinigten Staaten«, sagte sie zu Arkadi. »Sieht nicht viel anders aus als die Sowjetunion. Sie waren doch schon mal da. Wo eigentlich?«
    »In New York.«
    »Das ist natürlich etwas anderes.« Arkadi zögerte, dann nickte er. »Ja.«
    »Sie sind also gekommen, um mich zu verabschieden, wie nett von Ihnen.«
    Natascha wirkte so aufgeregt, daß man hätte meinen können, sie würde sich jeden Augenblick in die Lüfte erheben und den jenseits des Wassers wartenden Geschäften entgegenfliegen. Arkadi war eigentlich an Deck gekommen, weil er sehen wollte, ob Karp an Land ging. Bis jetzt hatte er den Trawlmeister noch nirgends entdecken können. »Ganz recht. Ich bin gekommen, um Ihnen einen schönen Tag zu wünschen und um Ihnen zu danken.«
    »In ein paar Stunden sind wir ja wieder zurück.«
    »Trotzdem.«
    Sie senkte Lider und Stimme. »Die Arbeit mit Ihnen war sehr anregend für mich, Arkadi Kirilowitsch. Sie haben doch nichts dagegen, daß ich Sie Arkadi Kirilowitsch nenne?«
    »Durchaus nicht.«
    »Sie sind keineswegs der Narr, für den ich Sie anfangs gehalten habe.«
    »Besten Dank.«
    »Und wir haben den Fall erfolgreich gelöst, nicht wahr?«
    »Ja, der Kapitän hat die Untersuchungen offiziell für beendet erklärt. Vielleicht wird sogar Wladiwostok auf weitere Ermittlungen verzichten.«
    »Es war sehr gut, daß der Dritte Maat Bukowski diesen Abschiedsbrief gefunden hat.«
    »Das war nicht nur gut, das war geradezu ein Wunder«, sagte Arkadi und dachte daran, daß er jeden Zentimeter unter Sinas Matratze abgetastet hatte, lange

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