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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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allerhand Krüppel gesehen, der Körper hat schließlich jede Menge Knochen. Aber ich war dabei, und da hätte ich ja was davon mitbekommen müssen. So was kann nur passieren, wenn man einen groben Fehler macht und sich von einer ganzen Plattform voller Baumstämme überrollen läßt. Der arme Kerl hat den Verstand verloren und ist schließlich an einem Milzriß gestorben. Ich wette, gegen Ende hat er seinen Tod direkt herbeigesehnt: besser tot als leben wie ein Ei ohne Schale. Aber sei’s drum. Ich hab den armen Teufel eigentlich nur erwähnt, weil Sie mich so an ihn erinnern und weil ein Schiff weit draußen auf hoher See ein gefährlicher Aufenthaltsort ist. Das ist alles, was ich Ihnen sagen wollte. Sie sollten sich vorsehen«, mahnte Karp, die Hand schon auf der Klinke. »Lernen Sie schwimmen, Renko.«
    Arkadis Krämpfe kehrten in doppelter Stärke zurück. Hatte er, als er noch bei der Miliz gewesen war, je solche Angst gehabt? Vielleicht war es ganz angemessen, daß er diesen weiten Weg von Moskau zurückgelegt hatte, um auf ein und demselben Schiff mit Karp Korobets zu landen. Warum hatte er ihn nur nicht erkannt? Schließlich war das kein alltäglicher Name. Andererseits hätte wohl selbst Karps eigene Mutter ihn kaum wiedererkannt, so wie er jetzt aussah.
    Der Trawlmaster war es, der ihn in den Laderaum gesperrt hatte. Das sagten ihm seine schlotternden Glieder, darum hatte er wieder angefangen zu zittern. Drei Männer hatten ihn getragen, einer war vorneweg gegangen und einer hinterher - Karp und seine Truppe, die gut aufeinander eingespielten Sieger im sozialistischen Wettbewerb.
    Schweiß lief an Arkadis Körper herunter, überzog ihn mit einem Schimmer aus Furcht. Karp war wahnsinnig, das war kein »präschizophrenes Syndrom« mehr. Trotzdem war der Mann nicht dumm, warum also machte er Arkadi ausgerechnet jetzt, wo er, zumindest zeitweilig, über eine gewisse Autorität verfügte, auf sich aufmerksam?
    Was hatte Karp ihm verraten, und was hatte er ausgelassen? Den Laderaum hatte er nicht erwähnt, aber wozu auch? Doch auch von Dutch Harbor hatte er nicht gesprochen. Alle anderen machten sich Sorgen um ihren Landgang, Karp offenbar nicht. Er hatte sich nach Hess erkundigt, über den wollte er Bescheid wissen. Vor allem aber hatte er Arkadi Angst einjagen wollen, und das war ihm gelungen.
    Wieder öffnete sich die Tür zur Sauna. Arkadi erblickte einen dunklen Fuß und griff unwillkürlich nach seinem Messer. Doch als der kühle Luftzug, der durch den Türspalt drang, den Dunstschleier teilte, erkannte er, daß der vermeintliche Fuß ein Schuh war, ein blauer Reebok. »Slawa?«
    Der Dritte Maat wedelte ärgerlich den Dampf beiseite. »Renko, ich habe Sie schon überall gesucht. Ich hab ihn gefunden! Ich hab den Abschiedsbrief gefunden.«
    Arkadi war in Gedanken immer noch bei Karp. »Was? Wovon reden Sie?«
    »Während Sie geschlafen und in der Sauna gefaulenzt haben, bin ich auf den Abschiedsbrief der Patiaschwili gestoßen. Sie hat tatsächlich einen geschrieben.« Slawa streckte den Kopf durch die Dunstwolke. »Sie hat Selbstmord verübt. Jetzt ist alles klar. Wir laufen den Hafen an.«
     
    Dutch Harbor war umgeben von einem grünen, mit buschigen, subarktischen Gräsern bewachsenen Klippengürtel. Es gab keine Bäume, nur Buschwerk, und auch das höchstens brusthoch, aber wenn der Wind durchs Gras strich, dann war es, als habe ein Zauberer seinen Stab erhoben und die Hügel unversehens in Wellen verwandelt.
    Die Insel hieß eigentlich Unalaska, und an einem Ende der Bucht befand sich auch ein Aleuten-Dorf dieses Namens; das heißt, im Grunde genommen waren es nur eine Handvoll Hütten am Strand, überragt von einer weißen russisch-orthodoxen Holzkirche. Das Städtchen Dutch Harbor konnte Arkadi indessen nicht sehen. Es lag hinter einem Tanklager jenseits des Hafendamms, auf dem ein paar Stapel ausgedienter Scherbretter inmitten schmutzig-grauer Schneewehen vor sich hin rotteten, drei oder vier Benzinzapfsäulen standen und haufenweise Krabbenkörbe herumlagen, jene Riesenkäfige, die jeweils auf eine halbe Tonne genormt waren. Weiter hinten war die Pier für die Fangboote, und dort lag auch ein ehemaliger Hochseedampfer, den man zu einer Konservenfabrik umgebaut hatte. Sein Rumpf war von einem Bollwerk aus Pfählen umgeben. Hinter alledem erhoben sich die Berge von Unalaska, deren Vulkangipfel von schwarzem Gestein und weißschimmerndem Schnee gesäumt waren.
    Merkwürdig, dachte Arkadi, wie sehr

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