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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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kontrollieren, ob an Bord eine Schwimmweste oder sonst etwas Schwimmfähiges fehle. Einen halben Tag lang kreuzten wir hin und her, suchten das Meer ab, stellten das Schiff auf den Kopf und zählten Schwimmwesten, Bojen und Fässer. Erst als wir glaubhaft versichern konnten, daß nichts fehlte, erlaubte uns das Flottenkommando, wieder auf Fang zu gehen. Die Genossen aus Wladiwostok sprachen es zwar nie direkt aus, aber wir alle wußten, warum dieser ganze Zirkus veranstaltet wurde - weil unser Trawler nur zwanzig Seemeilen von Japan entfernt gewesen war.
    Im Oberkommando bildete man sich ein, dieser Fischer hätte möglicherweise desertieren wollen und es gewagt, in einer stürmischen Nacht die eiskalten Gewässer zu durchschwimmen. Absurd, nicht wahr? Ich mußte die Freunde dieses Toten zwingen, nach ihrem Kameraden zu suchen, aber nicht, um seinen Leichnam bergen und der Familie übergeben zu können, sondern wir mußten so tun, als wäre er ein entsprungener Verbrecher, ja, als wären wir alle verdächtig. Ich gehorchte, aber damals habe ich mir geschworen, daß ich meine Mannschaft nie wieder der Willkür Wladiwostoks ausliefern würde. Sina war also nicht fehlerlos? Nun, das bin ich auch nicht. Finden Sie heraus, was mit ihr geschehen ist.«
    »Im Interesse der Mannschaft?«
    »Ja.«
    Der Anblick fallenden Schnees war tröstlich und bedrückend zugleich. Das Radargerät hatte Knöpfe für Helligkeit, Farbe, Reichweite. Auf dem Bildschirm war vor ihnen nichts weiter zu sehen als verstreute grüne Pünktchen, die vom Seegang herrührten.
    »Wie lange brauchen wir noch bis Dutch Harbor?«
    »Zehn Stunden.«
    »Wenn Sie was für Ihre Mannschaft tun wollen, Genosse Kapitän, dann genehmigen Sie den Landgang. In zehn Stunden erfahre ich bestimmt nichts, was uns weiterbringen könnte.«
    »Sie sind mein Kompromiß mit Wolowoi. Er ist der Erste Maat. Sie haben ja gehört, was er gesagt hat.«
    »Aber Sie sind immerhin der Kapitän. Wenn Sie Ihrer Mannschaft Landurlaub geben wollen, dann tun Sie’s.«
    Martschuk versank abermals in Schweigen. Die Zigarette zwischen seinen Lippen war bis auf einen glühenden Stummel heruntergebrannt. »Halten Sie Augen und Ohren offen«, sagte er endlich. »Vielleicht stoßen Sie ja doch noch auf was.«
    Arkadi verließ die Brücke. Als er sich noch einmal umwandte und durchs Bullauge hineinblickte, stand Martschuk da, als ob er ans Ruder gekettet wäre.
    Als Arkadi in seiner Kabine anlangte, zitterte er so stark, daß er beschloß, den Krämpfen die Stirn zu bieten und ihnen den Garaus zu machen. Er nahm sich ein Handtuch und ging dann ein Deck tiefer in ein kleines Duschbad mit Kleiderhaken im Vorraum, über denen ein Schild mit der Aufschrift hing: »Ein guter Sowjetbürger respektiert das Eigentum seiner Genossen.« Eine handgemalte Tafel weiter unten erteilte dagegen den weisen Rat: »Behalten Sie Ihre Wertgegenstände im Auge.«
    Arkadi schob sein Messer unters Handtuch und näherte sich dem größten Luxus, den die Polar Star zu bieten hatte, der Sauna. Die Mannschaft hatte sie selbst gebaut, und auch wenn sie nicht viel größer war als eine Stallbox, so bestand sie doch ganz aus rotem Zedernholz. Glattgeschliffene Steine in einer Zedernkiste wurden über Rohre erhitzt, die den Dampf von der Wäscherei auf direktem Weg heraufleiteten. Neben der Kiste stand ein mit Wasser gefüllter Zederneimer samt Schöpfkelle aus Zedernholz. Als Arkadi eintrat, hingen bereits vielversprechende Dunstschwaden in der Luft. Zwei Paar Beine baumelten von der oberen Liegebank herunter, doch sie waren so spindeldürr, daß sie wohl nicht als Mörderbeine in Frage kamen.
    Egal, ob er in einem Luxusbad in Moskau saß oder in einer ärmlichen Hütte in Sibirien, jeder Russe huldigte der Überzeugung, daß es keinen besseren Arzt gebe als die Sauna. Sie half gegen Erkältungen, Arthritis, nervöse Beschwerden und Erkrankungen der Atemwege, ganz besondere Linderung aber verschafften die wohltuenden Dämpfe bei einem heftigen Kater, und da die kleine Sauna auf der Polar Star ständig benutzt wurde, war sie auch immer beheizt. Arkadis Poren öffneten sich weit, und er spürte, wie auf Brust und Kopfhaut prickeln der Schweiß ausbrach. Obwohl seine Füße und Hände brannten, waren sie nicht weiß geworden, das erste Warnzeichen für Erfrierungserscheinungen.
    Wenn er nur erst von diesem Zittern befreit wäre, dann würde er auch wieder wirklich klar denken können. Er goß Wasser über die Steine und sah zu,

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