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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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hatte ihn seit gestern morgen nicht mehr gesehen. Freilich, Hess war klein, vielleicht sogar klein genug, um sich, für die anderen unsichtbar, durch Schornsteine und Lüftungsrohre zwängen zu können.
    »Was?« fragte Arkadi.
    »Daß der einzige der Mannschaft, der überhaupt hätte desertieren können, der einzige, dessen Loyalität wirklich auf die Probe gestellt worden ist, auch der einzige ist, der nicht von Bord gehen darf.«
    »In Ironie sind wir Weltmeister.«
    Hess lächelte. Sein struppiges Haar flatterte im Wind, doch er stand breitbeinig und fest da, wie ein richtiger Seemann, während er seine Blicke in die Runde schweifen ließ.
    »Ein hübscher Hafen. Während des Krieges hatten die Amerikaner fünfzigtausend Mann hier stationiert. Wenn wir Dutch Harbor bekommen hätten, wäre immer noch soviel Militär auf der Insel und nicht nur die paar Eingeborenen. Na ja, die Amerikaner können leicht wählerisch sein. Der Pazifik ist ja im Grunde nichts weiter als ein amerikanischer See. Alaska, San Francisco, Pearl Harbor, Midway, die Marshall- und die Fidschiinseln, Samoa, die Marianas, das alles gehört ihnen.«
    »Sie gehen auch an Land?«
    »Um mir die Beine zu vertreten, ja. Es könnte ganz interessant werden.«
    Vielleicht nicht für einen Elektroingenieur, dachte Arkadi, aber für einen Offizier des Marinenachrichtendienstes mochte ein Spaziergang durch den Haupthafen der Aleuten allerdings aufschlußreich sein.
    »Erlauben Sie mir«, sagte Hess, »Ihnen zu gratulieren, daß Sie den Fall dieses armen Mädchens gelöst haben.«
    »Diese Glückwünsche gebühren ausschließlich Slawa Bukowski. Er hat den Abschiedsbrief gefunden. Ich habe Sinas Koje zwar auch durchsucht, dabei aber den Brief glatt übersehen.«
    Arkadi hatte den Brief untersucht, sobald Slawa es müde war, ihn wie eine Trophäe vor seiner Nase zu schwenken. Er war auf einem halben linierten Blatt geschrieben, offenbar ein Stück von einer Seite aus Sinas Ringheft. Die Handschrift war ohne Zweifel die von Sina; die Fingerabdrücke auf dem Blatt stammten teils von ihr, teils von Slawa.
    »Aber es war doch Selbstmord?«
    »Ein Abschiedsbrief deutet allemal auf Selbstmord hin. Ein tödlicher Schlag auf den Hinterkopf und ein nachträglicher Messerstich in den Bauch legen freilich etwas anderes nahe.«
    Hess schien ganz in den Anblick des Trawlers versunken, der eben an der Polar Star festmachte. Ist er ein Truppenoffizier? fragte sich Arkadi. Gemessen daran, wie langsam Deutsche normalerweise befördert wurden, war er dem Rang nach vielleicht nicht mehr als ein Zweiter Kapitän. Falls er dagegen in der Nähe von Leningrad stationiert war, beim Marinehauptquartier, und womöglich an einer der Offiziersschulen dort Unterricht gab, dann konnte er den Titel eines Professors führen. Hess hatte durchaus etwas Professorenhaftes an sich.
    »Der Kapitän war sehr erleichtert, als er hörte, daß Sie sich mit Bukowskis Schlußfolgerungen einverstanden erklärt haben. Sie waren krank und lagen im Bett, sonst hätte er sich persönlich nach Ihrer Meinung erkundigt. Jetzt scheint es Ihnen ja wieder besser zu gehen.«
    Die Krämpfe hatten Arkadi in seine Kabine zurückgescheucht, das stimmte, aber mittlerweile ging es ihm wirklich besser, ja sogar so gut, daß er sich eine Belomor anzünden und erneut anfangen konnte, sich zu vergiften. Er warf das Streichholz über Bord. »Und Sie, Genosse Hess, waren Sie auch erleichtert?«
    Hess gestattete sich abermals ein Lächeln. »Es war eine allzu bequeme Lösung, als daß sie von Ihnen hätte kommen können. Aber Sie hätten Bukowski berichtigen und mit Ihrer Theorie zum Kapitän gehen können.«
    »Und den Leuten das da verderben?« Arkadi sah zu, wie ein portugiesischer Matrose Madame Malsewa von der Gangway aufs Deck des Trawlers hinunterhalf. Sie hatte einen Schal um die Schultern geschlungen und trippelte so zierlich, als beträte sie eine venezianische Gondel. »Dieser Landurlaub ist Sinn und Zweck ihrer ganzen Reise. Ich werde ihnen die zwei Tage hier nicht nehmen. Ist Wolowoi eigentlich auch rübergefahren?«
    »Nein, aber der Kapitän. Sie kennen ja die Vorschriften: Entweder der Kapitän oder der Kommissar, einer von beiden muß rund um die Uhr an Bord sein. Martschuk ist mit dem Lotsenboot rübergefahren, um dafür zu sorgen, daß die Geschäftsleute in Dutch Harbor für unsere Invasion gerüstet sind. Wie ich höre, sind sie nicht nur darauf vorbereitet, sondern erwarten uns bereits mit Ungeduld.« Er

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