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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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sah Arkadi an. »Also war es Mord? Wenn wir wieder auf See sind, werden Sie dann erneut anfangen, Fragen zu stellen? Offiziell ist die Untersuchung ja abgeschlossen. Auf die Unterstützung des Kapitäns können Sie also wohl nicht mehr rechnen. Nicht einmal Bukowski wird Ihnen mehr zur Verfügung stehen. Sie werden ganz auf sich allein gestellt sein, ein einzelner Fabrikarbeiter aus der Schmutzbrigade gegen das gesamte Schiff. Das klingt gefährlich. Selbst angenommen, Sie wüßten, wer für den Tod des Mädchens verantwortlich ist, wäre es vielleicht besser, die ganze Geschichte zu vergessen.«
    »Ja, das könnte ich vielleicht sogar.« Arkadi dachte darüber nach. »Aber wenn Sie der Mörder wären und wüßten, daß ich es weiß, würden Sie mich dann am Leben lassen, bis wir nach Wladiwostok zurückkehren?«
    Hess überlegte. »Es könnte eine lange Reise für Sie werden.«
    Oder eine sehr kurze, dachte Arkadi.
    »Kommen Sie mit mir«, sagte Hess.
    Er machte eine einladende Handbewegung, und Arkadi folgte ihm zum Achterhaus. Er nahm an, Hess wolle ihn an einen ruhigen Ort führen, um sich ungestört mit ihm zu unterhalten, doch statt dessen gingen sie direkt hinaus aufs Bootsdeck an der Backbordseite des Schiffes. Eine Jakobsleiter baumelte von der Reling hinunter zu einem Rettungsboot, das bereits zu Wasser gelassen war. Ein einzelner Rudergänger winkte zu ihnen herauf. Dem Flotteningenieur durfte man nicht zumuten, daß er sich mit der Mannschaft aufs überfüllte Deck eines Trawlers zwängte.
    »Wir könnten gleich ablegen«, sagte Hess. »Kommen Sie mit mir nach Dutch Harbor. Alle anderen dürfen, dank Ihnen, ihren Landurlaub genießen. Dafür haben Sie, denke ich, eine kleine Belohnung verdient.«
    »Sie wissen sehr gut, daß ich nicht das Erster-Klasse-Visum habe, das allein einfache Seeleute zum Landgang berechtigt.«
    »Auf meine Verantwortung«, antwortete Hess leichthin, trotzdem klang es, als meine er, was er sagte.
    Schon der Gedanke daran, an Land gehen zu können, wirkte belebend wie ein Glas Wodka. Die Perspektive veränderte sich, und im Nu rückten Häuser, Kirche und Berghänge näher. Der Wind strich einladend über Arkadis Gesicht, und die Wellen plätscherten melodisch gegen den Rumpf. Als Hess ein Paar schwarze Kalbslederhandschuhe überstreifte, sah Arkadi hinunter auf seine bloßen Hände, die fleckige Segeltuchjacke, die groben Arbeitshosen und die Gummistiefel. Hess bemerkte seinen kritischen Blick. »Immerhin sind Sie frisch rasiert«, meinte er aufmunternd. »Ein Mann, der sich rasiert hat, kann sich überall sehen lassen.«
    »Und was ist mit dem Kapitän?«
    »Kapitän Martschuk weiß, daß die neue Tagesparole >Initiative< lautet. Und außerdem Vertrauen auf die Loyalität der Massen.«
    Arkadi holte tief Luft. »Und Wolowoi?«
    »Der steht auf der Brücke und guckt in die andere Richtung. Wenn er merkt, daß Sie an Land gehen, werden Sie bereits dort sein. Renko, Sie benehmen sich ja wie ein Löwe, der sieht, daß seine Käfigtür offensteht. Sie zögern.«
    Arkadi hielt sich an der Reling fest, aus Angst, sonst das Gleichgewicht zu verlieren. »Es ist eben nicht so einfach.«
    »Da wäre allerdings noch eine Kleinigkeit.« Hess zog ein Blatt Papier aus der Tasche seines Parka und entfaltete es auf dem Schott. Es war eine zweizeilige Anerkenntnis, daß Desertion von einem sowjetischen Schiff ein Staatsverbrechen sei, für das in Abwesenheit des Täters dessen Familie zur Rechenschaft zu ziehen war. »Das muß jeder unterzeichnen. Haben sie Familie? Eine Frau?«
    »Wir sind geschieden.«
    »Trotzdem, man wird sich gegebenenfalls an sie halten.« Als Arkadi seine Unterschrift unter das Dokument gesetzt hatte, sagte Hess: »Ja, noch was. Keine Messer. Nicht im Hafen.«
    Arkadi holte das Messer aus seiner Jackentasche. Bis gestern hatte es unberührt in seinem Schrank gelegen. Jetzt aber war es ihm, als seien er und dieses Messer unzertrennlich.
    »Ich werde es für Sie aufheben«, versprach Hess. »Ich fürchte, für Ihren unvorhergesehenen Landgang sind keine Devisen bereitgestellt worden. Sie haben wohl keine amerikanischen Dollar?«
    »Nein, und auch keine Francs oder Yen. Bisher hätte ich dafür ja auch keine Verwendung gehabt.«
    Hess faltete das Papier sorgfältig zusammen und schob es zurück in seinen Parka. Wie ein Gastgeber, der improvisierte Partys am meisten schätzt, sagte er: »Dann müssen Sie mein Gast sein. Kommen Sie, Genosse Renko, ich werde Ihnen das berühmte

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