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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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entdeckte Arkadi hier und da arktische Blumen, die, winzigen Pünktchen gleich, zwischen den Schneeresten aus dem Gras hervorlugten. Der würzige Rauch von Holzfeuern stieg ihm in die Nase. Sobald sie das Konservenfabrikschiff passiert hatten, mündete die kleine Bucht in einen schmalen Flußlauf, und gleich darauf sah Arkadi vor sich eine Reihe von Piers für kleinere Boote, darunter Purseiner, die nicht größer waren als Ruderboote, ferner ein paar einmotorige Wasserflugzeuge und das unverwechselbare Orange des anderen Rettungsbootes von der Polarstern. Slawa Bukowski stand Wache und beobachtete erst erstaunt, dann mit wachsender Bestürzung ihre Ankunft. Hinter Slawa schnüffelten Hunde an Abfallhaufen, auf den Dächern nisteten Adler, und, was das wunderbarste war, Menschen gingen trockenen Fußes über festes Land.
    Die sibirischen Orchideen waren restlos vergessen. Kolja stand am Ende der Ladentheke wie ein Wanderer, der sich drei Wegweisern gegenübersieht und nicht weiß, welchem er folgen soll. Zu seiner Linken stapelten sich Stereoanlagen mit DigitalAbstimmung und verchromtem, fünfstufigem Equalizer sowie schwarzen Hi-Tech-Lautsprechern. Zu seiner Rechten standen in langer Reihe Hi-Fi-Türme, Kassettenrecorder mit Dolby-System, die nicht nur der Wiedergabe dienten, sondern auch in Windeseile fertige Aufnahmen überspielen konnten. Geradeaus erhob sich ein veritables Bollwerk aus koffergroßen Empfangsgeräten nebst Kassettendecks in pinkfarbenem, türkisem oder elfenbein getöntem High-Impact-Plastik, mit denen sich westliche Musik aus dem Äther direkt ins russische Wohnzimmer holen ließ. Kolja wagte gar nicht erst, hinter sich zu blicken, denn in den Regalen dort lag Walkman an Walkman, daneben Schlüsselanhänger, die piepsten, wenn man in die Hände klatschte, kassettengespeiste Teddys, die sprechen konnten, Armbanduhren mit elektronischem Rechner, der sowohl als Meilenzähler benutzt werden konnte wie auch zum Pulsmessen - alles in allem das sich schwindelerregend rasch ausbreitende Rüstzeug einer Zivilisation, deren Grundstein der Mikrochip war.
    Kolja begegnete dieser fremdartigen Situation mit altehrwürdiger sowjetischer Taktik: Er trat einen Schritt zurück und musterte jeden Artikel mit skeptischem Blick, als hätte er ranzige Butter vor sich, ein in der Sowjetunion sehr empfehlenswertes Verhalten, da dort die Regale für Waren mit dem Etikett »Defekte Lieferungen« mitunter voller waren als die Schaufenster. Kein erfahrener sowjetischer Kunde ging mit einem neuerworbenen Gerät aus dem Laden, bevor er es nicht aus dem Karton genommen, angeschlossen und sich vergewissert hatte, daß das Ding irgendwas machte. Außerdem sah ein russischer Kunde immer auch nach dem Herstellungsdatum auf dem Fabrikationsschild und hoffte auf ein Gerät, das nicht gegen Monatsende produziert worden war, wenn es der Werksleitung nur noch darauf ankam, ihr Soll an Fernsehern, Videorecordern oder Autos zu erfüllen, ob die Geräte nun alle erforderlichen Einzelteile enthielten oder nicht. Ebenso unbeliebt waren Apparate vom Monatsanfang, denn wenn das Werk bis Ultimo mit knapper Not sein Soll erfüllt hatte, waren die Arbeiter nach dem Ersten ein paar Tage lang sinnlos betrunken. In Dutch Harbor aber gab es weder randvolle Regale mit defekter Ware, noch trugen die Markenschildchen ein Herstellungsdatum, und so standen denn Kolja und mit ihm etwa hundert weitere Sowjetbürger wie betäubt am ersehnten Ziel ihrer Reise und starrten mit glänzenden Kinderaugen auf die ausländischen Radios, die elektronischen Rechner und die anderen Wunder der Technik, von denen sie so lange geträumt hatten.
    »Arkadi!« Kolja war außer sich vor Freude, ihn zu sehen. »Du warst doch schon mal in Amerika und weißt, wie’s dort zugeht. Wo sind denn die Verkäufer?«
    Tatsächlich schien kein Personal dazusein. Russische Geschäfte verfügen über ein Heer von Angestellten, denn der Kunde muß seinen Einkauf in drei Etappen tätigen: Von einem Verkäufer läßt er sich eine Rechnung geben, beim nächsten bezahlt er, und dem dritten händigt er die Quittung aus - aber das Personal ist durchweg viel zu sehr an Privatgesprächen oder Telefonaten interessiert, als daß man die Unterbrechung durch einen Fremden, der da von der Straße hereinspaziert kommt, begrüßen würde. Außerdem verstecken sowjetische Angestellte Qualitätsware - frischen Fisch, die Neuübersetzung eines Buches, einen ungarischen Büstenhalter - gleich nach

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