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Polarfieber (German Edition)

Polarfieber (German Edition)

Titel: Polarfieber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Henry
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Schnee hinein und stellte ihn zum Schmelzen auf die kleine Flamme. Inzwischen bemerkte Silas, dass seine Hand nicht das Einzige war, was die kleinen Fuchszähne erwischt hatten.
    „Dein Schlafsack, Kaya“, schnaufte er.
    „Was?“
    „Er hat deinen Schlafsack auseinandergenommen. Wahrscheinlich war ihm kalt.“ Er lachte heiser. „Au, verdammt, dieses kleine Mistviech!“
    „Er hat uns Verbandsmaterial besorgt“, erklärte sie und sammelte Stoffstreifen aus den Resten ihres Schlafsacks. Unendlich behutsam wusch sie mit dem geschmolzenen Schnee den Biss aus. Silas lehnte den Kopf an die Bretterwand und schloss die Augen. Der verletzte Jäger und Sammler und das multitalentierte Heimchen am Herd. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Wer so eine Frau hatte, brauchte keine andere. Sie brachte ihn in Lebensgefahr und verstand sich darauf, ihn anschließend wieder zusammenzuflicken. Als er blinzelte, blickte er direkt in ihre Obsidianaugen.
    „Du wirst es überleben“, sagte sie eindringlich.
    „Ist das ein Versprechen oder eine Drohung?“
    „Leg dich einen Augenblick hin, wenn dir schlecht ist. Ich nehme draußen den Fisch aus.“
    „Mir ist nicht schlecht.“
    „Lügner. Du bist weißer, als der Schnee. Leg dich hin.“
    „Yes, Ma’am.“
     
    Das Brennen seiner Hand war zu einem unangenehmen Pochen abgeklungen, als die kleinen Heilbuttsteaks gar waren. Ihr Duft zog durch die Hütte. Hoffentlich bemerkte das nicht Jungmeister Isegrim und kehrte zurück.
    „Es ist der letzte Sonnenuntergang“, sagte Kaya gedankenverloren, als sie die Steaks auf Plastikteller hob.
    „Was meinst du damit?“ Silas betrachtete den Verband aus dunkelblauem Nylon.
    „Polarnacht. Komm, lass uns vor der Hütte essen. Ich glaube, Issitoq hat sie bewusst an diese Stelle gebaut. Von hier kann man sehen, wie die Sonne heute ins Meer taucht. Sie wird morgen nicht wieder auftauchen.“
    Polarnacht. Er lebte seit drei Jahren in Grönland, aber den Gedanken an die monatelange Dunkelheit verdrängte er jedes Jahr wieder, bis es soweit war. Im Winter flog er fast ausschließlich im Süden der Insel, wo es keine Polarnacht gab und die Tage lediglich erschreckend kurz waren. Nur in Ausnahmefällen ließ er sich während dieser Zeit zu Einsätzen in den Norden schicken, denn die Finsternis selbst in der Mitte des Tages zerschoss jedes Mal seine innere Uhr. Kurze Tage wie diesen, an dem die Sonne nur kurz zu sehen war und immer sehr niedrig stand, nahm er als gegeben hin. Sich vorzustellen, dass es ab morgen wochenlang gar keine Sonne geben würde, drehte ihm für einen Herzschlag den Magen um. Es wurde Zeit, dass sie gerettet wurden. In Nuuk gab es jeden Tag Sonne.
    Kaya ließ sich mit ihrem Teller auf dem Bretterstapel vor der Hütte nieder und klopfte auf den Platz neben sich. Sie aß ihren Fisch mit den Fingern, und er tat es ihr nach. In wenig Öl ausgebackener, nur mit einer Prise Salz gewürzter Heilbutt war wahnsinnig lecker. Vor ihnen verschlang das Meer den feuerroten Sonnenball. Der letzte Lichtschein tönte Kayas Wangen in die Farbe von Blutorangen. Ihre Augen glitzerten. Ruhe hatte sich über ihre Gesichtszüge gelegt, sie wirkte gelöst. Bezaubernd. Ihr innerer Friede steckte an. Er spürte, wie sich in ihm etwas löste. Etwas, das nach Anspannung und sogar Angst geschmeckt hatte und verschwand, während er sie verstohlen betrachtete. Ihre Lippen schimmerten im schwachen Licht.
    Silas widmete sich mit Feuereifer seinem Essen, um den Drang zu unterdrücken, sie zu küssen. War es das, was die unfreiwillige Einsamkeit mit einem Mann machte? Sich um jeden Preis paaren zu wollen, um der Einsamkeit ein Ende zu setzen? Beinahe hätte er aufgelacht, aber auch das Lachen erstickte er durch einen Bissen Heilbutt. Weit und breit gab es außer ihnen niemanden. Logisch, dass er ihr nahe sein wollte, dem einzigen anderen Menschen im Eis. Nicht notwendig, mehr hineininterpretieren zu wollen.
    Kaya hielt ihm ihren Teller hin. „Willst du?“
    „Iss“, sagte er. „Das ist deine Portion.“
    „Ich habe keinen Hunger mehr.“
    „Iss trotzdem. Oder du kriegst ab sofort wieder Paste.“
    Sie lachte auf, stellte den Teller neben sich und blickte in den Himmel, der sich mit dem Verschwinden der Sonne rasch verdunkelte. Die ersten Sterne blinkten auf. Es herrschte absolute Windstille, in der sie das Eis unter sich arbeiten hörten. Trotz seines Einbruches vor noch nicht einmal drei Tagen machte ihm das Knacken und Knurren unter ihm nichts

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