Polarfieber (German Edition)
Limousine wartete bereits auf sie, als die Kufen des Hubschraubers das Helipad von Nuuk berührten. Kaya nahm die Ohrenschützer ab und lächelte Jakob zu. Obwohl sie in U p ernavik vom Medicopter in einen normalen Hubschrauber umgestiegen w a ren, hatte Air Greenland darauf bestanden, den Sanitäter auch auf dem Weiterflug an ihre Seite zu setzen. Unter der goldglänzenden Re t tungsfolie war ihr warm, und sie sehnte sich nach einem heißen Bad. Silas saß auf einer Pritsche rechts von ihr. Auch er mit einer Rettungsfolie um seine Schultern. Sie schlug den Blick nieder, b e zwang den Drang , zu ihm zu krabbeln und sich in seine Umarmung zu schmiegen. Sie war eine solche Heuchlerin. Erzählte von Treue und Reue und Liebe und wollte dabei nichts anderes, als diesen Mann.
Nicht eine Sekunde hatte sie an Nattoralik gedacht, als sie letzte Nacht in Silas ’ Armen wie ein Kind geschlafen hatte. All die gemei n samen Jahre hatte sie im Duft von Silas ’ Haut und der S i cherheit seines Körpers ertränkt . Sie hatte es verdorben. Hatte alles kaputt gemacht, weil sie seit Nattoraliks Tod einfach nicht wusste , wo hin sie gehörte, weil das Richtige plötzlich falsch war und das Falsche ric h tig.
Die Tür des Helikopters wurde geöffnet und ein Mann in schwa r zem Anzug erklomm die Trittleiter ins Innere .
„ Doktor Motzfeldt? “ E r streckte ihr die Rechte entgegen. „ Peer Olafsen. Ich komme im Auftrag des Umweltministeriums, um sie abzuholen. Der Fahrer steht schon bereit. Wir bringen Sie zuerst ins Queen Ingrid ’ s. Von dort sehen wir weiter. “
Automatisch ergriff sie seine Hand . „ Ich bin bereits durchg e checkt worden. “
„ Es tut mir leid . “ Olafsen winkte ab und sah dabei kein bis s chen so aus, als ob es ihm wirk lich leid täte. „ Ich habe meine Anweisu n gen. “
„ Verstehe. “ Sie nahm ihre n Rucksack und ließ sich von Ola f sen an der Schulter zur Luke des Helis führen. Scheinwerferlicht blend e te sie, kaum dass sie die Öffnung erreicht hatte. In ihrem Rücken spü r te sie Silas ’ Blick. Sie konnte nicht anders und sah nun doch über die Schulter. Er war kaum auszumachen im Dunkeln der Kab i ne . Und doch leuchteten seine Augen. Braungold e nes Gefunkel. Er lächelte nicht, sah sie nur durchdringend und mit einer Ehrlichkeit an, die sie sch o ckierte.
„ Leb wohl “ , formten seine Lippen.
„ Doktor Motzfeldt? “ Olafsen verstärkte den Druck an ihrer Schu l ter und schob sie auf die Trittleiter. Um nicht zu fallen, musste sie sehen, wohin sie trat.
Leb wohl, tönte Silas ’ Stimme in ihrem Kopf. Leb wohl. Wann hatte sie das letzte Mal gelebt? Hatte sie wirklich erst dem Tod so nah kommen müssen, um zu begreifen, dass zu einem Leben mehr gehörte als ein schlagendes Herz? Wärmer als eine Leiche bin ich allemal, hatte ihr Silas an den Kopf geworfen. Aber er war so viel mehr als das. Erkenntnis ruckte durch ihre Brust, eine Fessel schien sich zu lösen . Wen man liebt, den muss man loslassen, sagten die Alten ihres Volkes. Nattoralik hatte sie geliebt und er hatte sie losg e lassen. War gegangen, als es keine Z u kunft mehr gab. Es war an der Zeit, dass auch sie ihre Liebe bewies, indem sie nach vorn sah.
„ Silas. Was ist mit Silas? “ , stotterte sie, die Worte Abbilder ihrer Gedanken.
„ Herr Greve wird von der Airline abgeholt “ , antwortete Ola f sen.
Nein!, brüllte ihr Inneres. Er gehört zu mir. Er hat mich gere t tet, ich brauch e ihn mehr als Nährstofflösung und ein Kra n kenhaus. Sie wollte sich dem Regierungsmann entziehen, als ein grelles Licht in ihre Augen traf. Unwillkürlich zuckte sie zusa m men, da flammte es wieder auf. Noch einmal und noch einmal.
„ Doktor Motzfeldt, Kaya, wovon haben Sie all die Tage im Eis g e lebt? “ - „ Wie haben Sie den Absturz überlebt? “ - „ Sehen Sie die grönländische Eiswüste jetzt mit anderen Augen? “ - „ Wer erwa r tet Sie in Nuuk? “
Wie eine Maschinengewehrsalve prasselten die Fragen auf sie ein, blitzte es um sie herum. Olafsen legte den Arm um ihre Schulter n , schützte ihr Gesicht mit seinem Körper. Er wies zur Limousine, deren Fond bereits geöffnet wurde.
„ Dort entlang . Gleich haben Sie es geschafft. “
Sie hetzte über den Asphalt. Wenige Schritte wurden zu einem M a rathon. Als die Wagentür sich hinter ihr schloss, atmete sie auf. Ola f sen setzte sich auf den Beifahre r sitz, der Wagen fuhr an.
„ Es tut mir leid, dass wir das nicht verhindern konnten. “ Er zuckte
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