Polarfieber (German Edition)
sie verbarg das Gesicht in ihren Händen.
Silas setzte sich vor sie. Sie musste nicht den Kopf heben, um es zu sehen. Es war so verflucht eng in dieser Hütte, dass sie es mit jeder Pore ihrer verdreckten, stinkenden Haut fühlen konnte.
Ein tiefes Seufzen kam aus seiner Kehle. „Kaya, sieh mich an.“ Noch ein Seufzer, als sie nicht reagierte. „Ich weiß nicht, was da schief gelaufen ist. Das letzte, woran ich mich erinnern kann, ist, wie du in meinen Armen eingeschlafen bist, nachdem wir uns geliebt haben. Dann wache ich auf und alles ist anders.“
„Geliebt?“ Nun sah sie ihn doch an. „Wir haben uns nicht geliebt, Silas. Wie denn auch? Ich kenne dich doch kaum. Was weiß ich denn über dich, außer, dass du Pilot bist und vor irgendwas wegläufst, über das du nicht reden willst.“ Lüge, schrie es in ihr. Verdammte, mistige, feige Lüge. Nicht er war es, der davonlief. Doch sie rang die Stimme nieder, konzentrierte sich auf das, was sie mit Sicherheit wusste. „Nattoralik habe ich geliebt. Wir haben uns ein Leben lang gekannt, haben jeden Gedanken geteilt und jeden Traum. Alles, was uns beide verbindet, Silas, ist diese abgefahrene Situation, und schon sinke ich in deine Arme und vergesse alles, was mir wichtig war.“
Zuerst sah sie es an seinen Augen. Warmes Whiskeybraun wurde zu Schwarz. Sie hatte um sich geschossen, wild und verzweifelt, und sie hatte getroffen. Mitten ins Herz. Ein bitterer Geschmack in ihrem Mund, wie Orangensaft direkt nach dem Zähneputzen. Nur, dass es hier weder Orangensaft noch Zahnpasta gab. Hätten sie sich unter anderen Umständen kennengelernt … Nein, setzte ihr Verstand ein. Was sie gesagt hatte, war richtig. „Silas …“
„Nein, ist gut. Ich habe dich verstanden. Nur, denk mal drüber nach, dass dein Mann tot ist. Ich lebe. Und ich bin, verflucht nochmal, nicht aus Stein. Ich kann dir vielleicht keine Versprechen geben und keine gemeinsamen Träume, aber ich habe es nicht verdient, dass du auf mir herumtrampelst, wann immer dir gerade danach ist.“
Mit dem letzten Wort riss er die Tür auf und stürmte hinaus. Sie rührte sich nicht. Ihr Blut rauschte in den Ohren. Laut und immer lauter. Ja, Silas, du lebst. Aber was mich angeht, weiß ich nicht, ob du dich nicht irrst. Sie schluckte ihre Tränen.
„Kaya!“
Immer noch konnte sie sich nicht rühren.
„Kaya! Komm, schnell.“
Da begriff sie, woher das Rauschen kam.
9
Er hatte sich also nicht geirrt. Er hatte es schon in der Hütte gespürt, während dieses sinnlosen, vollkommen aus dem Nichts gegriffenen Disputs mit Kaya, dass da etwas war am Horizont. Ein schwaches Vibrieren und Brummen. Als er vor der Hütte stand, sah er den Scheinwerfer, hoch am nachtschwarzen Himmel. Es mochte vier Uhr morgens sein oder kurz nach zwölf am Mittag. Die Zeit spielte keine Rolle, wenn man im Eis warten musste. Der Hubschrauber sackte einmal merklich ab, aber das Wetter war perfekt, der Himmel klar, kein Wind regte sich. Er verstand das Durchsacken, es war ein Gruß. Sie waren gesehen worden. Jetzt hätte er die kleine Signallampe aus dem Notfallpaket auch ausschalten können, denn ein erfahrener Air Greenland Pilot konnte das Ziel nun auch blind anfliegen. Am Geräusch erkannte er, dass es einer der Bell 212 aus der Flotte war, vielleicht einer von denen, die in Upernavik stationiert waren.
Kaya trat neben ihn, sah stumm nach oben.
„Besser, du packst zusammen“, sagte er, ohne sie anzusehen. „Er kann hier nicht landen. Das Eis könnte brechen und Issitoqs Hütte versinken. Er wird uns mit dem Seil nach oben ziehen müssen.“
„Und du packst nicht?“
„Ich habe nicht viel.“
„Habe ich vielleicht mehr?“
„Du brauchst die Sachen in deinem Rucksack für das Treffen mit dem Minister.“ Endlich sah er sie an. In ihren Augen erkannte er, dass sie seit Tagen nicht mehr darüber nachgedacht hatte, wieso sie eigentlich auf dem Weg nach Nuuk gewesen war. Anderes war wichtiger gewesen und manches davon wollte sie vielleicht lieber ungeschehen machen.
„Wer weiß, ob es zu dem Treffen im Ministerium überhaupt noch kommen wird“, sagte sie und schaute zu Boden. „Den Termin habe ich verschwitzt.“
„Verschwitzt ist der unpassendste Ausdruck, den du wählen konntest.“
Er hob erneut den Blick. Der Helikopter war jetzt so nah, dass er das rote Kreuz unter dem Bauch des Riesenvogels sehen konnte. Air Greenland hatte ihnen einen Medicopter geschickt, in dem sie noch während des Fluges
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