Polargebiete: Tierparadiese unserer Erde
Igelformation gegen Wölfe und Bären
Neben harschen Hungerwintern oder plötzlichen Wärmeeinbrüchen mit Regen fallen Moschusochsen vor allem den Nachstellungen von Wölfen, Eis- oder Grizzlybären und Menschen zum Opfer. Erst 1869 haben die Europäer die Art bei einer Nordpolexpedition überhaupt entdeckt. Wenige Jahrzehnte später, um 1900, hatten sie sie bereits fast ausgerottet. Durch Schutzmaßnahmen und Wiederansiedlungen hat sich der Weltbestand inzwischen auf schätzungsweise 60 000–80 000 Tiere erholt.
Dass Moschusochsen so leicht zu schießen sind, liegt an ihrer angeborenen Verteidigungsstrategie: Wenn sie von Raubtieren angegriffen werden, fliehen die Erwachsenen nicht, sondern bilden eine halbkreisoder kreisförmige Phalanx, hinter der die Kälber geschützt werden. Ab und zu bricht ein Bulle aus, stürzt mit bis zu 40 km/h auf den Gegner zu und versucht ihn mit den Hörnern zu treffen, die auf der Stirn zu einer dicken Platte verwachsen sind. Auch in der Brunst werden diese Waffen eingesetzt: Die Bullen krachen immer wieder frontal aufeinander und klären so, wer die Kühe decken darf. Der Verlierer kann aber meist in der Herde bleiben, denn gemeinsam hat man im Überlebenskampf in der Tundra einfach bessere Chancen.
Lemminge: die heimlichen Herrscher der Tundra
Über kein anderes Tier der Tundra kursieren so hartnäckige Fehlvorstellungen wie über
den
Lemming. Das fängt schon damit an, dass es den Lemming gar nicht gibt, sondern allein 17 echte Lemmingarten in vier Gattungen sowie fünf Mulllemminge und einige Wühlmäuse, die ebenfalls als Lemminge bezeichnet werden. Der klassische, ja »sprichwörtliche« Lemming, der vermeintlich alle paar Jahre einer selbstmörderischen Massenpsychose unterliegt, ist der Berglemming. Er nimmt eine Schlüsselrolle in den Nahrungsketten der Tundra ein: als Konsument, »Gärtner«, Konkurrent und unentbehrliche Nahrungsgrundlage vieler Bewohner dieses Lebensraums.
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Ein Lemming räkelt sich in der Sonne.
Wasserfester Pelz
Alle 17 echten Lemmingarten leben im nördlichen Wald- und Tundrengürtel. Allen gemein ist die gedrungene Gestalt mit der kurzen Schnauze und dem kaum aus dem langen, dichten Pelz herausragenden Schwanz: eine typische Kälteanpassung, um Wärmeverluste über Körperteile mit großer Oberfläche zu reduzieren. Dazu passen auch die kleinen, runden Ohrmuscheln, die fast ganz im lufthaltigen, wasserbeständigen Fell verborgen sind.
Der in Skandinavien und Nordwestrussland beheimatete Berg- oder Fjelllemming (
Lemmus lemmus
) ist ein lebhaftes, 15–17 cm großes Nagetier. Seine breiten Füße mit den dicht behaarten Sohlen und den vor allem vorn stark ausgebildeten, abgeflachten Grabkrallen an den ersten Zehen weisen auf ein Leben im Schnee und im Boden hin. Das Fell ist mit Weiß-, Gelb-, Rotbraun- und Schwarztönen ausgesprochen bunt, aber im äußersten Norden des Verbreitungsgebiets färbt es sich im Winter zur Tarnung weiß: bei Nagern eine Seltenheit. Mit seinen scharfen Zähnchen und Krallen wehrt sich der Berglemming mutig gegen Angreifer. Weiter im Osten wird er vom Braunen Lemming (
Lemmus sibiricus)
und dem Amurlemming (
Lemmus amurensis
) abgelöst.
Gänge im Schnee
Lemminge sind im Prinzip Warmblüter wie Menschen und fangen bei Außentemperaturen unter +20 °C an zu zittern. Aber ihre winzigen Babys sind in den ersten Tagen so isoliert, dass man sie eigentlich als wechselwarm bezeichnen muss: Selbst wenn sie sich kurz auf +3 °C abkühlen, nehmen sie keinen dauerhaften Schaden. Nach etwa zehn Tagen lernen sie zu zittern, um mit den Muskeln Wärme freizusetzen; ihr Fell sprießt und eine isolierende Fettschicht wird aufgebaut.
Diese bleibt jedoch dünn und trotz des dichten Fells würden die Tiere an der eiskalten Luft den Winter nicht überleben. Daher ziehen sie sich in weit verzweigte Gangsysteme unter der dicken, leichten Schneedecke zurück: Am Boden ist es immerhin 0 °C »warm«, so dass die Berglemminge ohne Winterschlaf und gehortete Nahrungsvorräte auskommen und sogar noch Junge aufziehen, wenn 50 cm über ihnen –20 °C herrschen. Ihre kugeligen Nester sind dick mit Gras und Moos ausgepolstert. Moos bildet im Winter auch ihre wichtigste Nahrungsquelle, denn es bleibt unter dem Schnee frisch und leicht zugänglich. Da diese Kost schwer verdaulich und kalorienarm ist, müssen die Tiere ständig fressen. Auch Knospen von Zwergsträuchern, Rentierflechten, Samenkörner, Wurzeln und Rinde
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