Polaris
vor sich hat, vielleicht war sie auch wütend oder frustriert, also versetzt sie ihm einen kurzen Stoß, und es ist vorbei. Wer würde schon den Unterschied erkennen?«
Wir gingen durch den Wald zurück zu unserem Gleiter. Es fühlte sich gut an, wieder in der warmen Kabine zu sein. Wir befanden uns auf einem Hang, etwa einen halben Kilometer vom Gipfel entfernt. Alex saß teilnahmslos da, sagte keinen Ton und starrte in den Wald hinaus. Ich fühlte es auch. Dieser windumtoste Hügel hatte etwas Deprimierendes an sich. »Es ist das Wetter«, sagte ich.
Alex gab ein Grollen aus tiefster Kehle von sich. »Louise«, sagte er zu der KI, »schau mal, was du über Edgar Crisp in Erfahrung bringen kannst.« Er hatte es mir überlassen, einen Namen für das System auszusuchen, und ich hatte aufs Geratewohl einen Namen gewählt, der warm und freundlich und ganz und gar nicht bedrohlich klang. Alex war nicht gerade begeistert, aber er hatte auch nichts dazu gesagt.
Es gab nicht viel über Crisp. Geburt. Tod. Eltern waren 1391 nach Rimway gekommen. Graduiert an der Indira-Khan-Akademie in Lakat, die auf halbem Weg über das Meer lag. Lizenz zum Führen eines Gleiters 1397. Erwerb eines Gleiters 1398. Lebte drei Jahre an der Seaview Avenue in einer Mietwohnung, ehe er Agnes heiratete. Angestellter bei Allnight Recreation Service, dem Eigner des Easy Aces Casino. Gestorben im Alter von achtundzwanzig.
Das war alles. Edgars Reise durch die Welt war recht unspektakulär verlaufen. Er hatte nichts bewirkt, nichts verändert, hatte erst Aufmerksamkeit erregt, als er gestorben war. Es war beinahe, als hätte er gar nicht existiert. Ich fragte mich, wer wohl bei seiner Beerdigung gewesen war.
»So ergeht es den meisten von uns«, sagte Alex. »Geburt, Tod und ab dafür. Die Welt nimmt keine Notiz davon. Es sei denn, du hast das Glück, die Sagenwelt eines anderen auf den Kopf zu stellen.«
Ich lachte. Alex war überzeugt, durch die Entdeckungen bezüglich Christopher Sim Unsterblichkeit erlangt zu haben, und er hatte sehr wahrscheinlich sogar Recht.
»Louise«, sagte er, »überprüf die Liste der Absolventen der Khan-Academie in den Jahren 1395 und 1396. Sieh nach, ob ein Edgar Crisp verzeichnet ist.«
»Du glaubst nicht, was die Medien berichten?«, fragte ich ihn.
»Ich folge nur meinen Instinkten.«
Louise brauchte nur ein paar Sekunden. »Lakat führt kein Register.«
»Gibt es eine andere Möglichkeit, seinen Lebenslauf zu überprüfen? Abgesehen davon, persönlich dorthin zu gehen?«
»Es gibt keine Offline-Einrichtung.«
Ein paar Kinder mit Rucksäcken wanderten vorbei. Unterwegs zum Point. Sollten sie die Absicht haben, im Freien zu bleiben, würden sie vermutlich ziemlich frieren müssen.
»Noch jemand ohne Geschichte«, stellte ich fest. »Woher wusstest du das?«
»Ich denke, es kann kein Zufall sein, dass wir ständig über Leute stolpern, die aus Gegenden stammen, in denen es kein Register gibt.«
Ich startete den Motor. »Denkst du, irgendeine dieser Personen wird sich als diejenige entpuppen, die sie vorgibt zu sein?«
»Keine Ahnung«, antwortete er. »Was ich mich frage, ist, wo sie wirklich herkommen.«
Der Friedhof von Walpurgis war keine halbe Stunde Fußweg von dem Haus entfernt, in dem einst Agnes und Ed Crisp gelebt hatten. Er war etwa einen Quadratkilometer groß und schmiegte sich an einen sanften Hang. Die Grabsteine waren wie die Stadt selbst alt und abgenutzt. Er wurde nur noch selten gebraucht, weil die hiesige Bevölkerung stark geschrumpft war, aber auch, weil die meisten Leute es derzeit vorzogen, die Asche ihrer Verstorbenen dem Wind oder der See zu übergeben.
Wir hatten gehört, dass manche der Gräber achthundert Jahre alt seien, wenn wir auch nichts dergleichen zu sehen bekamen. Die Gräber lagen dicht beieinander; drei oder vier Personen teilten sich eine Grabstelle, und ich sah nicht eine Stelle auf dem ganzen Friedhof, auf der kein Platzmangel geherrscht hätte. Der Friedhof war voll, die Stadt leer.
Die Grabsteine umfassten ein breites Spektrum verschiedener Stilrichtungen, was, wie ich annahm, vorwiegend mit den Vermögensverhältnissen des Eigners und, bis zu einem gewissen Grad, dem Zeitpunkt seiner Beerdigung zusammenhing. Mode kam und ging. Manche Grabmale bestanden aus schlichten Schiefertafeln, die in den Boden eingelassen worden waren und Namen und Daten enthielten. Andere waren größer, kunstvoller und dazu angetan, die Gefühle der Hinterbliebenen zum
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