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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
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gut.“
    „Gut schon. Aber es geht nicht.“
    „Und warum soll es nicht gehen?“
    „Weil, mein lieber Willy, mehr Menschen so sind wie ich und weniger so wie du.“
    „Leider.“
    „Willy, komm, wir hören jetzt auf, sonst kriegen wir noch Streit. Und im Streit wird man selten zu Brüdern“, sagte Breiter, wandte sich Richtung Bedienung und machte ihr das Zeichen zum Zahlen.
    „Vielleicht hast du ja Recht. Aber irgendetwas muss man tun.“
    „Nein, Willy, ich glaube sogar, du hast Recht. Aber ein Breiter kann auf keine Revolution warten. Der muss alleine gehen. Denn so wie er ist, würde die Revolution auch nicht auf ihn warten. Und das könnte gefährlich werden.“
    „Ja, du bist zu extrem.“
    „Also bleibe ich für mich extrem. Aber dieses ewige Arm und Reich darf es so auch nicht geben. Und dafür ist möglicherweise deine Partei richtig. Aber komm jetzt. Wir müssen noch Blutsbrüder werden.“
    „Das brauch ich aber nicht.“
    „Es wird uns guttun, einen Bruder zu haben. Wir haben schon keine Väter.“
    „Und wie soll das gehen?“
    „Wir zeigen uns gegenseitig unsere Pimmel und kreuzen sie. Das ist es.“
    „Breiter!“
    „Oder willst du die Unterarme aufschneiden und das Blut gegeneinander halten?“
    „Das ist wenigstens keine Sauerei.“
    „Aber es gibt eine. Zudem sind wir Männer.“
    Sie verließen das Lokal. Die Nacht wäre eigentlich hell und klar gewesen. Doch der Rauch und Ruß unzähliger Eierkohlen, Briketts und Holzscheite verschleierte die Sicht auf die Sterne. Und ob der Mond leuchtete, halb, voll oder leer war, war nicht auszumachen. Kalter Wind zog über die Rheinbrücke, sie schlugen die Mantelkragen hoch, beschleunigten den Schritt, drehten ihre Gesichter vom Wind ab und waren froh, die Gasse zwischen Marktplatz und Schifflände erreicht zu haben, in der das Licht der Schaufenster die Gehsteige erhellte. Der Marktplatz war verwaist, nur ein engumschlungenes Pärchen küsste sich leidenschaftlich im Schutze der dunklen, gotischen Bögen des Rathauses, aus dem Saal im ersten Stock eines Restaurants tönte Charleston und aus der Gerbergasse war das Rumpeln und metallene Quietschen der nahenden Straßenbahn zu hören.
    Sie gingen durch die engen Gassen den Münsterhügel hoch, neben der himmelwärts ragenden Kathedrale vorbei zur Pfalz, stiegen auf die rote Sandsteinbank, hinter der der Hügel etwa fünfzehn Meter senkrecht zum Rheinbord hinabfiel, schworen sich Brüderschaft und pinkelten unter lautem Gejohle und mit strammem Strahl in die Nacht hinein.
    Am anderen Tag kaufte sich Breiter ein großes Einmachglas, holte sich bei der Witwe Hunziker eine Selbstklebeetikette, schrieb „Mama“ darauf, versorgte die 900 Franken darin und stellte es zu den anderen Kässelis auf den Kasten.
    Er betrachtete die Kässelis. Nach einer Weile beschloss er, an der nächsten Herbstmesse eine Rose für seine Mutter zu schießen. Und eine weitere für Vittorio.

 
    In den folgenden Wochen stürzte sich Breiter mit Kraft, Lerneifer und Wachheit in seine neue Arbeit. Bei Thomi + Franck bedauerte man seinen Abgang, versuchte ihn mit einer Gehaltsaufbesserung zum Bleiben zu bewegen, konnte ihm aber weiterhin keine Fahrten ins Ausland versprechen. Zudem war er es auch leid, den Kolonialwarenhändlerinnen Muckefuck, Plämpel und Hutzelwasser als Kaffee zu verkaufen und der Senf in der Tube würde seinen Weg auch ohne Jacques Breiter machen.
    Die neue Aufgabe erwies sich jedoch als um einiges anspruchsvoller. So brachte er jetzt die neuesten Modefarben für Baumwolle, Wolle und Kunstseide ins obere Wiesental und überzeugte die leitenden Angestellten und Direktoren der dortigen Textilindustrie von Qualität und Einzigartigkeit der Gugy’schen Farbstoffe und Garnveredler. Breiter eignete sich innerhalb kürzester Zeit ein fundiertes Wissen an über Diphenylechtfarbstoffe auf Mischgewebe aus Viskose und Baumwolle, lichtechte Diphenylechtfarbstoffe auf Baumwolle und Kunstseide, saure Wollfarbstoffe oder Tinon- und Tinonchlorfarbstoffe im direkten Druck auf Baumwolle, sah sich in den betriebseigenen Labors um, löcherte die Chemiker mit Fragen, bis er verstand, was sie eigentlich machten und übermittelte ihnen schon bald Anregungen und Ideen aus den Fabriken.
    Eine dieser Ideen klaute er einem Vorarbeiter und trug sie de Mijouter vor. Gugy sollte kleine, handliche und leicht bedienbare Labors entwickeln, die dann den Textilfabriken zur Qualitätsprüfung und zu Selbsttests zur Verfügung gestellt

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