Polarrot
beschied ihm, dass es ihm einen solchen Nachweis gegen eine Gebühr von zwei Franken, vorabzuschicken in bar oder Briefmarken, ausstellen könne.
Breiter schickte Briefmarken und das Pfarramt Nesslau bestätigte, dass Jakobs Vater Alois Breiter, geboren am 29. September 1878, Bürgerort Stein, gestorben wahrscheinlich am 23. November 1920, wie auch seine Mutter Anna Breiter, geb. Abderhalden, geboren am 14. März 1891, Bürgerort Nesslau, gestorben am 17. Januar 1934 in St. Gallen, katholisch gewesen seien. Wie auch deren beiden Elternteile. Falls er noch weitere Abklärungen wünsche, wäre dies mit einer weiteren Gebühr von fünf Franken verbunden.
Breiter hatte, was er wollte und legte es der Sekretärin von de Mijouter auf den Tisch, was diese mit einem gehässigen „wurde auch Zeit“ quittierte. Und von da an verkaufte de Mijouters bester Mann die neuesten, modischsten Farbstoffe der Gugy AG in den Textilzentren Deutschlands, unterwies die werkfremden Laboranten im Umgang mit dem bereitgestellten Kleinstlabor und half ihnen nötigenfalls bei der Herstellung des Polarrots für die neue deutsche Hakenkreuzfahne und des heiklen Säurechromblaus für die Festanzüge der NSDAP.
Breiter verkaufte und verkaufte und erfreute sich an jeder neuen Hakenkreuzfahne, wo immer sie auch hing, quadratisch an einem Gemeindehaus, irgendwo in Oberfranken, als Wimpel an einem Heereslastwagen oder als langes, rechteckiges Banner an einem Bahnhofsuhrturm; es waren seine Fahnen. Seine, de Mijouters und die der Gugy AG. Nur dank ihnen leuchteten sie den Deutschen mit ihrem Rot so klar den Weg in ihre bessere Zukunft, eine Zukunft mit immer kleiner werdenden Schlangen vor den Arbeitslosenstellen und Straßenküchen, mit Autobahnen, riesigen Urlaubsanlagen und Erholungskreuzern, mit von Prachtbauten gesäumten Alleen, ungezählten Festaufmärschen und mit einem von der Schande des Versailler Vertrags nach und nach erleichterten Gemüt.
Gut, je nach Lichteinfall ging das Rot in ein Rotbraun über, das den Einen oder Anderen an stockendes Blut erinnern konnte. Aber Breiter sah dies nicht, konnte es nicht sehen. Breiter sah nur, wie die Fahnen, Wimpel, Flaggen, Standarten und Banner zahlreicher und zahlreicher wurden und dadurch seine Provision am Ende des Jahres zu einer stattlichen Summe anwachsen ließen.
Und als der Führer während des Reichbefreiungsparteitags am 15. September 1935 neben ein paar die Juden betreffenden Rassengesetzen auch das Reichsflaggengesetz verabschiedete, war das dem Hause de Mijouter ein Gartenfest für die Kader der Firma wert.
Breiter holte sich wieder bei der Witwe Hunziker Rat, schüttete darauf sein Kleiderkässeli aus, ging mit ihr zum edlen Herrenkonfektionisten, ließ sich von ihr und dem Verkäufer zu einem Smoking überreden, der ihm perfekt stand: „Wie für Sie gemacht, Herr Breiter“, „wirklich, Köbeli, jetzt siehst du wie ein Herr aus“. Er kaufte sich ein paar rahmengenähte Derby-Lackschuhe dazu und wurde mit jedem Schritt, den er die Freie Straße hinunterging, stolzer und stolzer auf sich, wie weit er es doch schon gebracht hatte, dass er, der ehemalige Toggenburger Geißenbub in solchen vornehmen Geschäften einkaufen und vor allem bezahlen konnte, so stolz, dass er in einem von der Witwe Hunziker unbeobachteten Augenblick den Inhalt seiner Geldbörse nachzählte und ihr ein neues Kleid offerierte, was dieser ein wenig Wasser in die Augen trieb und sie ihm anbieten ließ, sie fortan Lina zu heißen.
Bevor er das Haus verließ, prüfte Lina noch den perfekten Sitz des Smokings, verschob die Fliege um einen halben Grad und wischte mit einem Staubtuch ein letztes Mal über die Schuhe.
„Gut, dass du den Willy nicht gebeten hast, dich im Bentley vorzufahren. Das kannst du nicht bringen, das hätten sie dir übel genommen, du wärst als Aufschneider abgestempelt worden. Bub, lass dir solche Sachen nicht mehr einfallen, versprochen?“
„Versprochen.“
„Und noch was“, sie erhob sich, legte das Staubtuch auf die Kommode und zog ihn an den Ohren, „halte dich von den Frauen, vor allem von den Töchtern des Hauses fern, falls es welche gibt. Bleib bescheiden, iss nicht und vor allem trink nicht zu viel, halte Messer und Gabel gerade, kleckere nicht, wisch dir den Mund ab, bevor du zum Weinglas greifst, rede nicht zu viel und schon gar nicht dazwischen. Verstanden?“
„Mein Gott, ich habe fast zwei Jahre in einem der besten Hotels der Schweiz gearbeitet, ich weiß, wie ich
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