Polarrot
Deutsch. Keinen Dialekt, nicht diesen so oft arrogant klingenden Dialekt, nein, astreines Deutsch. Ohne Färbung, einfach Deutsch. Hochdeutsch.
Sie war Deutsche. Zumindest in Deutschland aufgewachsen. Vielleicht von Adel? Dies würde de Mijouter natürlich gut anstehen. Daher die glänzenden Verbindungen zu Deutschland und dieser Nationalpartei. Beschwingt nahm er das Glas von der Brüstung, stieg den linken Treppenflügel hinunter und ging auf einen sich mit zwei Frauen im Gespräch befindenden Arbeitskollegen zu, der ihn mit kräftigem Winken aufgefordert hatte, sich zu ihnen zu gesellen.
„Meine Damen, darf ich Ihnen unseren Spitzenpiloten vorstellen: Jacques Breiter. Seinetwegen, meine Damen, bete ich jeden Abend zum lieben Gott und frage ihn: ‚Wie macht das der Breiter nur, dass er Geschäft um Geschäft mit diesen Nationalsozialisten abschließt?‘ Sag es mir, bitte, sag es mir, bei der Seele meiner Großmutter!“
Paul Huber, so hieß der Vertreter, lachte zu laut und zu angestrengt über seinen Scherz, so dass er sehr rasch nur noch alleine lachte.
„Und?“, fragte die Schwarzhaarige zu seiner Linken.
„Und?“, lachte Huber aus, „Gott antwortet nicht. Gott bleibt stumm.“
„Ja, dass tut er in letzter Zeit öfter“, sagte die Schwarzhaarige ernst und schaute in ihr Glas. Einen kurzen Augenblick lang kam es zu einer betretenen Stille.
„Freut mich, Herr Breiter, ich bin Elsbeth Schuppig.“
„Jacques, für Sie.“ Breiter nahm ihre Hand und küsste sie knapp oberhalb des Handrückens in der Luft.
„Sie ist gewaschen, Jacques“, sagte Elsbeth Schuppig belustigt.
Breiter ging in die Knie, nahm ihre Hand, drehte sie um, betrachtete die Handfläche kurz, küsste sie und erhob sich wieder.
„Jetzt dürfen Sie Beth zu mir sagen“, lachte Beth. Sie war einen Kopf kleiner als Breiter, trug ein himmelblaues Kleid, dunkelblaue, flache Schuhe und einen dunkelblauen Topfhut mit kurzen, weißen Bändern, unter dem ein paar aussortierte Strähnen ihres dunkelblonden Haares hervorlugten. Sie hatte ein hübsches Gesicht, mit einer kecken Spitznase, war aber alles in allem etwas zu kurz geraten, wie Breiter befand.
„Das habe ich mir aber verdient, Beth?“
„Durchaus, Jacques.“
„Und Sie“, sprach er die Schwarzhaarige an, „wie komme ich bei Ihnen zum Du?“
„Einfach so, ich bin Doris, Doris Kaufmann.“
„Und deine Hände, Doris, sind auch gewaschen?“, versuchte er sie aus der Reserve zu locken.
„Zumindest in Unschuld, und so wird es auch bleiben, Jacques.“
Beth kicherte, Paul Huber schaute demonstrativ in die Luft und Breiter wusste nichts Geistreicheres zu sagen, als, davon sei er sowieso ausgegangen.
Ein Diener trat auf die Terrasse und bat die Gesellschaft in das geschmückte Wohnzimmer, wo Ambros de Mijouter sich für seine Rede bereithielt.
„Sehr verehrter Herr Konsul und Gattin, sehr verehrte Herren Regierungsräte und Gattinnen, sehr verehrte Geschäftspartner und Gattinnen, sehr verehrte Damen und Herren, geschätzte Angestellte, vor einer Woche hat Ihr Reichskanzler und Führer, Herr Konsul, in Nürnberg das Reichsbeflaggungsgesetz verkündet und in Kraft gesetzt. Ab sofort erhält das neue Deutschland, das Deutsche Reich, eine neue Nationalflagge, ein neues – fürwahr – Wahrzeichen, dass den Aufbruch und den Sieg über die wirtschaftliche Depression nicht besser symbolisieren könnte: das Hakenkreuz, die Swastika, auf die Spitze gestellt, eine arische Glücksbringerin.
Dass gerade unsere Firma, die I. P. Gugy AG den polarroten Hintergrund für dieses zukunftsweisende Symbol des neuen Deutschlands, des wiedererwachten Deutschen Reiches, liefern darf, erfüllt uns mit großem Stolz. Symbolisiert doch gerade dieses Rot die Kraft, die im Blute des Deutschen Volkes steckt, die nach Jahren der Indifferenz wieder eine klare Richtung erhält. Zum Segen des Deutschen Reichs und zum Segen ganz Europas. Denn nur ein starkes Reich garantiert Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum und dadurch stabile Verhältnisse auf unserem alten Kontinent.
Europa braucht unbedingt wieder Stabilität und ein festes Gefüge, damit der Wohlstand vorangetrieben werden kann, das Volk genügend zu essen und zur Unterhaltung hat und daher soziale Unruhen ein für allemal der Vergangenheit angehören werden. Nur so kann die Wirtschaft – und mit ihr Unternehmen wie die I. P. Gugy AG – ihre Verantwortung wahrnehmen und ihren unverzichtbaren Beitrag zu einem durch und durch gesunden
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