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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
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dem ein Kaffeekrug und Tassen standen. „Milch und Zucker?“
    „Nur Milch, bitte, danke.“
    „Wie alt sind Sie jetzt?“, fragte de Mijouter und stellte Breiter die Tasse auf dessen Seite des Pults.
    „Achtundzwanzig, Herr de Mijouter.“
    „Gut. Meine Frau ist einunddreißig, ich bin dreiundvierzig. Sie war neunzehn, als ich sie geheiratet habe, exzellente Partie, Tochter eines Wiesentaler Textilfabrikanten, beste Erziehung an einem Hannoverschen Töchtergymnasium. Elegante Erscheinung, umwerfende Ausstrahlung, gescheit – finden Sie nicht auch, Herr Breiter?“
    „Ja, Sie haben wirklich eine beeindruckende Frau, Herr de Mijouter.“
    „Ja, gut gesagt, Breiter: eine beeindruckende Frau.“ De Mijouter steckte sich eine Zigarette an.
    Breiter hätte sich auch gerne eine angesteckt, aber so weit wollte er nicht gehen. Alles, das riesige Büro, die Art, wie de Mijouter sprach, wie er gewisse Wörter betonte oder fast verschluckte, das Auf und Ab von laut und leise erinnerte ihn an das Entlassungsgespräch bei Camenisch. Würde er in zehn Minuten auf der Straße stehen, stundenlang am Rheinhafen zum Kohlesäcke Schleppen anstehen, zweimal am Tag in der Armenküche eine dünne Suppe zu sich nehmen, von der Witwe Hunziker auf die Straße geworfen werden, da er ihren Rat nicht befolgt hatte?
    „Nur“, fuhr de Mijouter fort, „die beeindruckende Frau hat mich nie wirklich interessiert. Ich habe sie einfach geheiratet. Im Namen Gottes und des Geschäfts, könnte man sagen. Meine Mutter hat es arrangiert. Ich hatte keine Wahl. Lebt Ihre Mutter noch?“
    „Sie ist vor bald zwei Jahren gestorben.“
    „Das tut mir leid. Aber Sie haben jetzt eine Wahl.“
    „Da, wo ich herkomme, hätte ich auch keine Wahl gehabt.“
    „Das kann ich mir gut vorstellen. Da hätte Sie wohl irgendwann der Berg verschluckt. Gut, Sie sind gegangen.“
    „Ich bin gegangen worden.“
    „Ihr Glück.“
    „Ja, wahrscheinlich schon.“
    „Wollen Sie auch eine Zigarette?“
    „Ja, gerne. Wird es meine letzte sein, bei der I. G. Gugy AG, Herr de Mijouter?“
    De Mijouter schaute ihn einen Moment lang entsetzt an, konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen und sagte: „Wo denken Sie hin, Breiter, nur weil Sie meiner Frau geschmeichelt und ihr ein wenig tiefer als kommod in die Augen geschaut haben, würde ich meinen Mann für Deutschland entlassen? Nie im Leben, Breiter.“
    Breiter fiel ein Stein vom Herzen. Er wechselte die Haltung, machte es sich bequemer.
    „Sehen Sie, Herr Breiter, ich bin ein Mann des Geschäfts, ein Unternehmer, in dritter Generation, ich habe unser Firmenkonglomerat in wenigen Jahren von zwölf auf über dreißig verschiedene Unternehmen ausgebaut. Und allen geht es gut: mir, Ihnen, meiner Frau, der vielköpfigen Familie, deren Sprösslinge da und dort Posten besetzen, den Angestellten und sogar den Arbeitern. Wir haben Siedlungen gebaut, die Arbeitszeiten verkürzt, Einrichtungen für die neu gewonnene Freizeit eingerichtet. Und wissen Sie was, Breiter? Das ging nur, weil mein Vater früh starb. Wäre dem nicht so gewesen, wäre wohl alles anders gekommen. Ich hätte vielleicht eine eigene Firma gegründet und ihn überflügelt, wer weiß.“
    De Mijouter schaute zur Decke, und es hätte Breiter nicht verwundert, hätte er im nächsten Moment die Faust geballt.
    „Nun“, fuhr er fort, „wie dem auch sei, wir gehen weiter, wir treiben die Gugy voran, wir machen sie zur Nummer eins auf dem Platz Basel, und dann sind wir schon nahe an der Nummer eins der Welt. Und die Chancen stehen gut, Breiter, sehr gut sogar. Das Reichsbeflaggungsgesetz ist ein Glücksfall für uns alle. Der spielt uns in die Hände, das müssen wir rücksichtslos nutzen, Breiter. Und da fällt Ihnen eine Schlüsselrolle zu, die Sie bereits jetzt brillant und zur vollsten Zufriedenheit ausfüllen.“
    „Danke.“
    „Wie viel Umsatz machen Sie jetzt mit dem Polarrot?“
    „Etwa 350.000.“
    „Und wie ist Ihre Einschätzung?“
    „Ich denke, fünfmal mehr kann ich so schaffen, wie ich jetzt arbeite. Hätte ich ein besseres Automobil, wäre wohl das Siebenfache möglich. Hätte ich einen neuen Wagen und einen eigenen Sekretär hier im Hause mit diesem neuartigen Fernschreiber, könnte vielleicht das Fünfzehnfache bewältigt werden. Dazu wären wohl noch fünf Kofferlabors nötig. Und …“
    „Ja?“
    „Wie wäre es mit der Provision?“
    „Sehen Sie, Breiter, das gefällt mir so an Ihnen: Ihr Sinn fürs Geld, eine gewisse – wie soll

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