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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Tschan
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Farbfestigkeit, mehr Leuchtkraft sowie einen ersten Entwicklungsauftrag für ein elegantes Chromgrau für NSDAP-Festanzüge mit ins Basler Stammlabor im Rosentalquartier.
    Breiter arbeitete Tag für Tag darauf hin, abends mit schweren Gliedern und leerem Kopf rasch in eine traumlose Nachtruhe zu fallen. Was teils gelang und teils fürchterlich missriet, da ihm Charlotte de Mijouters ungreifbare Stimme unverständliche, aber verlockend klingende Sätze in den Tiefschlaf hauchte und ihn auf diese Weise wiederholt an die Oberfläche zog, so dass er das Gefühl hatte, nie wirklich geschlafen zu haben, obwohl regelmäßig vier bis fünf Stunden zusammenkamen.
    Gleichwohl war er hellwach, als er sich im Zoo an der Seite von Charlotte de Mijouter lässig mit den Unterarmen auf der grob verputzten, bauchnabelhohen Mauer abstützte, die ihn und seine Begleitung vor den Pranken und Zähnen der Eisbären schützte.
    Breiter zog nervös an seiner Zigarette. Überhaupt rauchte er unablässig, seit Charlotte de Mijouter mit ein paar Buchstaben in Königsblau auf Crèmefarbe die Herrschaft über seine Gedanken und Teile seines Körpers übernommen hatte.
    „Was meinen Sie, Frau de Mijouter, ob er Amundsen gefressen hat?“
    „Und jetzt, nach der Begnadigung durch König Haakon, sitzt er seine Strafe im Exil des Basler Zoos ab?“
    „Sorgenfrei.“
    „Glücklich?“
    „Regelmäßiges Fressen.“
    „Jagd, Freiheit, Nachwuchs.“
    „In dieser Reihenfolge?“ Breiter schaute schmunzelnd zu ihr hoch.
    „Aber sicher“, grinste sie, hakte ihren Arm bei ihm unter, zog ihn hoch und trieb ihn zum nächsten Gehege.
    Auf einem künstlichen, rund zehn Meter hohen Felsen tummelten sich Hunderte Javaneraffen. Der vor fünf Jahren erbaute Affenfelsen hatte noch nichts von seiner Attraktion eingebüßt und so vergnügten sich zahlreiche Besucher an den Äffchen, ekelten sich, wenn sich ihre Urahnen lausten, verfolgten sie, wenn sie einander nachrannten, ergötzten sich an dem Spiel der Kleinen, übergingen die Schlafenden und glotzten neugierig oder wendeten verschämt ihren Blick von den Kopulierenden ab.
    Charlotte de Mijouter waren es zu viele Menschen rund um den Affenfelsen. Sie zog an Breiters Ärmel und forderte ihn auf, weiterzugehen. Elefanten, Lamas, Gnus, Zebras, Löwen, Tiger und Menschenaffen säumten ihren Spaziergang. Sie kamen am neuen Restaurant und an der großen Festmatte vorbei, auf der Völkerschauen mit Pygmäen, Indianern oder Hottentotten gezeigt wurden. Charlotte de Mijouter steuerte entschiedenen Schrittes auf das Vogelhaus zu, das wunderbar geschützte Bänke unter Palmenblättern, Farnen und herunterhängenden Lianen bot. Zudem war es warm und das Pfeifen, Krächzen und Zwitschern der Blaukrönchen, Ibisse, Sonnenrallen oder Tukane weckte in ihr die Sehnsucht nach großen Koffern, Schiffen, Flugzeugen, Meer.
    Sie ging schnurstracks zu ihrer Lieblingsbank, knöpfte ihren dunklen Polo-Mantel mit Pelzkragen und Ärmelaufschlägen auf, warf ihn über die Lehne, setzte sich, schlug die Beine übereinander und hieß Breiter, es ihr gleich zu tun.
    „Es ist warm hier. Hier, im Dschungel.“
    Breiter tat es ihr gleich, setzte sich neben sie und versuchte die einzelnen Pflanzen in dieser satten, grünen Wand, die er vor sich hatte, zu unterscheiden.
    „Rauch eine Zigarette“, sagte sie rau.
    Breiter meinte ein ganz kleines Stückchen Nervosität in ihrem Tonfall herauszuhören, klaubte eine Zigarette aus der Schachtel, steckte sie sich an und begann zu rauchen. Als er bei der Hälfte war, sagte sie: „Jetzt gib sie mir.“
    Breiter reichte ihr die halbe Zigarette und als Charlotte de Mijouter sie nehmen wollte, hielt er ihre Hand sanft fest, beugte sich nach vorn und küsste sie auf die Innenseite. Dann gab er ihr die Zigarette. Charlotte de Mijouter nahm sie, als sei nichts geschehen und rauchte sie in langen, tiefen Zügen fertig. Hinterher schaute sie in das Blätterwerk der Farne und Palmen und forderte Breiter auf, eine weitere Zigarette anzuzünden.
    Breiter steckte sie sich an.
    „Gib sie mir“, befahl sie.
    Breiter gab sie ihr.
    Sie füllte ihre Lungen mit dem Rauch, lang und tief, behielt ihn im verschlossenen Mund, drehte sich zu Breiter, nahm seinen Kopf in ihre Hände, zog ihn zu sich, Lippe auf Lippe, blies ihm den Rauch in den Mund und stieß mit der Zunge ein wenig nach. Sie löste sich von seinen Lippen und sagte leise: „So, jetzt können wir Du zueinander sagen. Ich bin die Charlotte.“
    Breiter

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