Polarsturm
ebenfalls versonnen. Er hielt sich gern an die Regeln, ließ sich aber so gut wie keine Einschüchterungsmanöver bieten. Summer sagte oft scherzhaft, er sei eine Art umgänglicher Clark Kent, der einem Bettler immer Almosen gab oder einer Frau die Tür aufhielt. Aber wenn ihm jemand sagte, er dürfe dies oder jenes nicht tun, konnte er zu einem Tasmanischen Teufel werden. Die Auseinandersetzung mit den Wachschutzmännern hatte ihn in seinem Gefühl für Anstand verletzt, seinen Argwohn geweckt und gleichzeitig seinen Blutdruck steigen lassen. Er wartete, bis das Boot vertäut war und Trevor, mit dem sie sich in einer Stunde zum Essen treffen wollten, zum Abschied noch einmal gewunken hatte. Dann wandte er sich an Summer.
»Ich würde mir diese Sequestrierungsanlage gern mal näher ansehen«, sagte er.
Summer blickte auf das Wasser, auf dem sich mit anbrechender Dämmerung die ersten Lichter von Kitimat spiegelten. Dann gab sie Dirk eine Antwort, die er als letzte erwartet hatte.
»Weißt du, ich glaube, ich auch.«
16
Es war bereits nach 18 Uhr, als Loren und Pitt beim Georgetown University Hospital eintrafen und auf Lisas Zimmer gehen durften. Trotz ihrer Begegnung mit dem Tod wirkte sie erstaunlich robust. Ein dicker Verband bedeckte ihre linke Schulter, das gebrochene Bein war eingegipst und höher gelegt worden. Aufgrund des Blutverlustes war sie zwar etwas blass, aber bei klarem Verstand, und beim Anblick der Besucher lebte sie sichtlich auf.
Loren stürmte auf sie zu und gab ihr einen Kuss auf die Wange, während Pitt eine große Vase mit rosa Lilien neben das Bett stellte.
»Sieht so aus, als ob die guten Leute in Georgetown Sie wieder bestens zusammengeflickt haben«, stellte Pitt grinsend fest.
»Meine Liebe, wie geht es dir?«, fragte Loren und zog sich einen Stuhl ans Bett.
»Den Umständen entsprechend ziemlich gut«, erwiderte Lisa mit einem gezwungenen Lächeln. »Ich spüre zwar trotz der Schmerzmittel mein tobendes Bein, aber die Ärzte haben mir gesagt, dass es tadellos verheilen wird. Du musst mich nur daran erinnern, dass ich meine Aerobicstunden in den nächsten paar Wochen absage.«
Mit ernstem Blick wandte sie sich an Pitt. »Man hat mir seit meiner Einlieferung sechs Einheiten roter Blutkörperchen gegeben. Der Arzt sagte, ich hätte Glück gehabt. Wenn Sie mich nicht rechtzeitig gefunden hätten, wäre ich verblutet. Danke, dass Sie mir das Leben gerettet haben.«
Pitt zwinkerte ihr zu. »Sie sind viel zu wichtig, als dass wir Sie verlieren dürfen«, sagte er abwinkend.
»Es war ein Wunder«, sagte Loren. »Dirk hat mir erzählt, wie verwüstet das Labor war. Schon erstaunlich, dass in dem Gebäude niemand ums Leben kam.«
»Dr. Maxwell hat vorhin vorbeigeschaut. Er hat versprochen, mir ein neues Labor einzurichten.« Sie lächelte. »Auch wenn er ein bisschen enttäuscht war, weil ich nicht wusste, was passiert ist.«
»Du weißt nicht, was die Explosion ausgelöst hat?«, fragte Loren.
»Nein. Ich dachte, im Büro nebenan wäre irgendwas hochgegangen.«
»Anhand der Schäden, die ich gesehen habe, hatte ich den Eindruck, dass sich die Explosion in dem Zimmer ereignet hat, in dem ich Sie gefunden habe«, sagte Pitt.
»Ja, das hat mir Dr. Maxwell auch gesagt. Ich bin mir nicht sicher, ob er mir geglaubt hat, als ich ihm erklärte, dass sich in meinem Labor nichts befand, das eine derart heftige Explosion hätte auslösen können.«
»Es war ein ziemlich starker Knall«, pflichtete ihr Pitt bei.
Lisa nickte. »Ich habe hier gesessen und mir jedes Element und Gerät im Labor vorgestellt. Sämtliche Materialien, mit denen ich gearbeitet habe, sind inaktiv. Wir haben eine Reihe von Gastanks für die Experimente, aber Dr. Maxwell hat darauf hingewiesen, dass alle intakt waren. Die Geräte sind harmlos. Mir fällt einfach nichts ein, das so explosiv hätte sein können, um diese Sache zu verursachen.«
»Mach dir keine Vorwürfe«, sagte Loren. »Vielleicht lag es an irgendetwas im Gebäude, einer alten Gasleitung oder so was Ähnlichem.«
Sie wurden von einer streng dreinblickenden Schwester unterbrochen, die hereinkam, Lisas Bett hochklappte und ein Essenstablett vor ihr hinstellte.
»Ich glaube, wir sollten uns lieber wieder auf den Weg machen, damit Sie die Köstlichkeiten des Krankenhauses genießen können«, sagte Pitt.
»Mit den Krabben von gestern Abend lässt es sich sicher nicht vergleichen«, sagte Lisa mit einem gequälten Lachen. Dann runzelte sie die Stirn.
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