Pole Position: Sebastian Vettel - sein Weg an die Spitze (German Edition)
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Auf der Ehrenrunde reckt er seinen rechten Arm mit dem ausgestreckten Zeigefinger aus dem Cockpit und lässt sein Auto mit qualmenden Reifen in einer Auslaufzone übermütig zweimal um die eigene Achse kreiseln. Der Automobilweltverband hat solche Aktionen verboten, sie wird nicht im Fernsehen zu sehen sein. Die Fans an der Strecke applaudieren. Sebastian Vettel fährt langsam an die Box zurück. Viele Verfolger schließen auf und passieren ihn. Auch das silberne Auto mit der Startnummer sieben: Michael Schumacher. Der Mercedes-Fahrer ist in dem Rennen Sechster geworden. Er grüßt mit bewundernden Handzeichen. »Sebastian hat eine außergewöhnliche Saison im großen Stil zu Ende gebracht«, findet er: »Der zweite Titel ist schwieriger, weil jeder vorgewarnt ist.«
Am Ziel
Der Moment des Zieleinlaufs ist bei jedem Rennen ein besonderer. Plötzlich bricht vieles zusammen. Die Spannung, die sich seit Donnerstag Tag für Tag aufgebaut hat. Die penible Ordnung, die in den Boxen herrscht und im Fahrerlager. Die Gewinner jubeln. Erleichterung macht sich breit. Die Verlierer beginnen schlagartig damit, enttäuscht ihre Gerätschaften zusammenzusammeln. Noch während die Siegerehrung läuft, fahren Gabelstapler vor, kurz darauf auch schwere Lastwagen. Container werden herangerollt. Die so sorgsam errichtete Kulisse, in der das Spektakel spielt, wird eingerissen und eingepackt. In keinem anderen Moment wird so deutlich, was die Formel 1 auch ist: ein Wanderzirkus, der seine Zelte ständig an einem anderen Ort aufschlägt. Das Rennen in Suzuka ist um 16.30 Uhr Ortszeit zu Ende. Bereits um 23 Uhr muss alles gepackt sein. Dann kommen die Spediteure. Bereits acht Tage später findet in Südkorea der nächste Grand Prix statt.
Es hat etwas Skurriles, wenn ausgerechnet in solch einem Ambiente der Flüchtigkeit ein sporthistorisches Ereignis begangen, der Titelträger gekürt wird. Nach dem Rennen müssen die Autos in den Parc fermé, einem abgesperrten Bereich in der Boxengasse, von wo sie zum Wiegen und Vermessen geschoben werden. Die Regelhüter prüfen, ob wirklich alles den Regeln entspricht. Das Resultat, das unmittelbar nach der Zielankunft verteilt wird, trägt deshalb zunächst den Stempel »vorläufig«. Bis daraus ein »endgültig« wird, kann es Stunden dauern. Beim WM -Finale 2007 in São Paulo, aus dem Ferrari-Fahrer Kimi Räikkönen überraschend als Sieger hervorgegangen war, hatten die Regelhüter drei Autos gefunden, in deren Tanks Benzin geflossen war, das um wenige Grad von der vorgeschriebenen Mindesttemperatur abwich: an den BMW s von Nick Heidfeld und Robert Kubica sowie an Nico Rosbergs Williams. Bei einer Disqualifikation der Drei wäre McLaren-Fahrer Lewis Hamilton auf den vierten Platz im Rennklassement vorgerückt und damit zum Weltmeister aufgestiegen. Zweieinhalb Stunden nach Rennende begannen die drei Sportkommissare mit der Zeugenvernehmung, erst nach mehr als sechs Stunden war entschieden, dass das ursprüngliche Ergebnis Bestand hatte; wegen einer haarfeinen Ungenauigkeit im Mess-Prozedere. Im Reglement steht, maßgeblich sei die Benzintemperatur »an Bord des Autos«. Den Kommissaren lag aber lediglich vor, was Temperaturfühler am Einfüllstutzen erspürt hatten. McLaren legte daraufhin umgehend Protest ein, der aber wirkungslos blieb. Nicht immer werden in der Formel 1 die Sieger an der Strecke gekürt. In Suzuka 2011 aber ist das so.
Ehrenrunde
Als er seinen Wagen auf dem Parkplatz abgestellt hat, den eine Tafel dem Drittplatzierten des Rennens zuweist, steigt Sebastian Vettel auf das Auto, streckt beide Hände dem wolkenlosen Himmel entgegen, an dem die Sonne allmählich untergeht. Dann reckt er die Zeigefinger. Es ist wie ein Zeichen. An die Welt und an sich selbst: Ich habe es geschafft. Die überwältigenden Gefühle, sie brechen sich allmählich Bahn. Dann springt er vom Auto und stürzt um die Absperrgatter herum zu den wartenden Mechanikern. Das ist eigentlich nicht erlaubt. Jemand könnte ihm heimlich ein Zusatzgewicht zustecken. Aber im Überschwang wird nicht jede Regel penibel ausgelegt. Sebastian Vettel hat noch seinen Helm auf. Was gut ist, so ausgelassen, wie die Helfer sich mit ihm freuen. Sie drücken ihn, schlagen ihn anerkennend auf den Helm. Es ist das kurze Tremolo eines gemeinsamen Hochgefühls. Mehr Zeit bleibt nicht. Auch für den jüngsten Zweimal-Weltmeister der Formel-1-Historie wird das Protokoll nicht geändert. Er muss zum Wiegen. Danach kurz frisch
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