Pole Position: Sebastian Vettel - sein Weg an die Spitze (German Edition)
ihm die Feder den Stirnknochen oberhalb des linken Auges. Von der etwa 20 Kilometer nördlich der Stadt gelegenen Rennstrecke wird er mit dem Helikopter ins Militärkrankenhaus nach Budapest geflogen. Dort entscheiden die Ärzte 40 Minuten nach seiner Einlieferung, dass eine Operation nötig sei, um sein Leben zu retten. Drei Ärzte operieren Massa zwei Stunden lang am Kopf. Sie säubern die Wunde, entfernen ein Stück Knochen und reparieren den Bruch. Anschließend wird Massa in ein künstliches Koma versetzt, um sein Gehirn zu schonen. Nach zwei Tagen wird er langsam aufgeweckt. Was den Unfall betrifft, erinnert er sich an nichts: »In dem Moment, als es passiert ist, habe ich nichts gespürt.« Nach neun Tagen verlässt er das Krankenhaus. Seine über die Ferrari-Pressestelle verbreitete Botschaft in Italienisch, Englisch und Portugiesisch an dem Tag: »Ich fühle mich schon viel besser. Ich möchte mich so schnell wie möglich erholen, um wieder hinter das Steuer eines Ferrari zu können.« Der Unfall hinterlässt Spuren. Über Massas linkem Auge ist die Operationsnarbe deutlich zu erkennen. Aber auch die Kollegen sind gezeichnet. »Das zeigt, wo wir am ehesten verletzlich sind«, sagt Nico Rosberg. »Wir müssen darüber nachdenken, wie wir so etwas verhindern können«, fordert Heikki Kovalainen. Lewis Hamilton nimmt sogar ein Wort in den Mund, das sonst an der Rennstrecke selten zu hören ist: Angst. »Das ist sehr beängstigend. Jeder Fahrer ist geschockt«, sagt er, »das war der zweite Vorfall dieser Art innerhalb von einer Woche. Das dürfen wir nicht ignorieren.«
Risikomanagement
MOTORSPORT IST GEFÄHRLICH . In Großbuchstaben steht das auf jeder Eintrittskarte und auf jeder Akkreditierung. Aber die Botschaft wird verdrängt. Seit Ayrton Senna 1994 hat kein Fahrer mehr bei einem Rennen sein Leben gelassen. Die Gefahr ist in die Ferne gerückt, zu etwas Abstraktem geworden. Früher war das anders. »Es war wie im Krieg. Vor jedem Start hat man überlegt, wen erwischt es heute. Den vor mir? Den hinter mir? Mich?« Hans Herrmann hat das gesagt, der sein erstes von 18 Formel-1-Rennen 1954 bestritt. Henry Surtees Vater John, der 1964 als Weltmeister gefeiert wurde, fiel der Vergleich ein: »Die Formel 1 ist wie das Jonglieren mit einer Handgranate. Du weißt nie, ob das Ding losgeht.« Nina Rindt, die Frau von Jochen Rindt, erzählte einmal: »In Paris oder Mailand schauten wir immer in Boutiquen nach schwarzen Kleidern. Fürs nächste Begräbnis. Das kam mit Sicherheit.« Im September 1970 musste sie ihren eigenen Mann zu Grabe tragen: Beim Training zum Großen Preis von Italien in Monza war sein Lotus vor der Parabolica-Kurve ausgebrochen wie ein wildes Pferd und in die Leitplanken geschleudert. Rindt hatte es den Brustkorb eingedrückt und die Luftröhre zerrissen. Posthum wurde er als Weltmeister ausgerufen. Sein Punkte-Vorsprung war so groß, dass ihn niemand mehr einholen konnte. Jackie Stewart, der seine Karriere 1973 nach seinem dritten WM -Titel beendete, hat einmal zusammengezählt, wie viele Piloten, die er kannte, in seiner Zeit ihr Leben ließen. Er kam auf mehr als fünfzig. Von einigen packte er nach den Unglücksrennen selbst die Sachen im leeren Hotelzimmer. Kein Wunder, dass es zu jener Zeit Rennen gab, bei denen in der Unfall-Ambulanz ein Sarg stand. Nigel Mansell, der Weltmeister des Jahres 1992, sah ebenfalls noch mehr als zwanzig Kollegen sterben. Auch damals kam es schon auf vieles an. Aber Mut, manchmal sogar Todesmut, war einer der Faktoren, der die herausragenden von den guten Fahrern trennte. »Für mich war Teil der Faszination und des Spaßes auch immer die Gefahr, in der ich schwebte. Es ging nicht nur um Ruhm und Geld. Es ging auch um dein Leben.« So hat Stirling Moss das gesehen.
Gerhard Berger war mit Ayrton Senna befreundet. Er war bei ihm, im Krankenhaus in Bologna, kurz bevor die lebenserhaltenden Geräte abgeschaltet wurden. Über das, was dann geschah, hat er erzählt: »Als ich die Klinik verließ, wusste ich: Das war’s. Ich werde ihn nie mehr wiedersehen, aber ich werde weiter wie bisher Formel-1-Rennen bestreiten. Der Tod fährt dabei immer mit. Jeder Pilot weiß das, und ich bin mir sicher: Für das, was ihm das Rennfahren gibt, nimmt jeder bewusst hin, dass es ihn das Leben kosten kann. Als Formel-1-Fahrer erlebst du so komprimiert solch intensive Erfahrungen, dass du bereit bist, diesen Preis zu bezahlen. Das war so, das ist so, und das wird wohl auch so
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