Pole Position: Sebastian Vettel - sein Weg an die Spitze (German Edition)
Zeigefinger an der rechten Schläfe rotieren. Der spinnt, der Webber, soll das heißen. Webber selbst kommt auch ins Schleudern. Sein Auto aber ist nicht kaputt, nur beschädigt. Er schafft es noch ins Ziel, immerhin als Dritter, hinter dem McLaren-Duo Lewis Hamilton und Jenson Button. Wem wie viel Schuld an dem Unfall zukommt, darüber entbrennt ein Gelehrtenstreit: »Mark hat sich nicht bewegt, Sebastian geht von der weißen Linie weg. Das ist ganz klar sein Fehler«, sagt Mercedes-Fahrer Nico Rosberg. Niki Lauda sieht es ähnlich: »In meinen Augen war Sebastian da zu aggressiv.« Auch RTL -Experte Christian Danner urteilt: »Webber fährt kerzengerade, Vettel zieht rüber. Damit verursacht er die Kollision.« Der derart Angeklagte aber verteidigt sich: »Ich denke, das habe ich richtig gemacht«, sagt Sebastian Vettel, »ich hatte das Gefühl, dass ich ein wenig schneller kann, also habe ich meine Chance genutzt.« Auch Sky-Fachmann Marc Surer findet: »Für mich sind beide schuld. Deinen Teamkollegen drückst du nicht einfach auf die Wiese.« Lotus-Technikchef Mike Gascoyne meint sogar: »Das war verrückt von Webber.« Das Team selbst gibt Webber die Schuld. Es lässt durchsickern: Weil er bloß als Dritter ins Rennen ging, verbrauchte Sebastian Vettel auf den ersten Runden weniger Benzin als Webber. Der musste zum Unfallzeitpunkt mit dem Sprit bereits haushalten, Sebastian Vettel nicht. Deshalb war er schneller. Webbers Renningenieur sei dies am Kommandostand auch mitgeteilt worden. Er habe diese Information am Funk aber nicht weitergegeben. Webber habe seine Linie deshalb unnötig hart verteidigt.
Es ist eine Erklärung, die nicht wirklich Klarheit schafft, sondern ein anderes Phänomen der Formel 1 zeigt: Wie wichtig es ist, die Deutungshoheit zu haben. Während die Bild-Zeitung noch ausgewogen vom »Hornochsen-Crash« spricht, kommt in englischsprachigen Medien schnell die Theorie auf, der österreichischen Marke, die so viel Wert auf ein jugendliches Image legt, sei ein junger Deutscher als WM -Führender vermutlich lieber als ein in die Jahre gekommener Australier. Ein Eindruck, der im weiteren Saisonverlauf noch eine wichtige Rolle spielen wird.
Gegeneinander
Rivalitäten. Sie sind ein Teil des besonderen Reizes der Formel 1. Und besonders reizvoll sind sie, wenn sie sich auch noch innerhalb eines Teams entspinnen, wenn aus dem Miteinander plötzlich ein offenes Gegeneinander wird. Wie 1982 bei Ferrari. Für das italienische Team traten damals Gilles Villeneuve und Didier Pironi an. Beim vierten Rennen der Saison, dem Großen Preis von San Marino in Imola, kam es zum Eklat: Pironi hielt sich nicht an den für die letzten Runden verabredeten Nichtangriffspakt. Im finalen Umlauf zog er am verdutzten Villeneuve vorbei, der daraufhin wutentbrannt ankündigte: Nie mehr werde er auch nur ein Wort mit Pironi wechseln. Entsprechend explosiv war die Stimmung in der Mannschaft beim nächsten Rennen, zwei Wochen später in Zolder in Belgien. Den Grand Prix erlebte Villeneuve nicht mehr. Hoch motiviert startete er ins Training – und kollidierte mit dem Auto von Jochen Mass, das bloß langsam dahinrollte. Villeneuve wurde aus dem Auto geschleudert und war sofort tot.
Der Gegner, der im gleichen Auto sitzt, ist immer ein besonderer. Um ihn zu bezwingen, sind den meisten viele Mittel recht. So weit, wie Nelson Piquet 1986 bei Williams gegen Nigel Mansell ging, gehen aber wenige. In Hockenheim schnappte der Brasilianer dem Briten den Reifensatz weg, der diesem zugedacht war. Er hatte am Funk die Frequenz des Teamkollegen mitgehört – und dieser musste sich beim Boxenstopp hinten anstellen. Später sprach Piquet von einem Missverständnis. Beim vorletzten Saisonrennen, dem Großen Preis von Mexiko, ließ er, als Mansell über Durchfall klagte, flugs das Toilettenpapier verschwinden. Als all das nicht reichte und im Saisonfinale in Adelaide Alain Prost den Titel einstrich, sagte Piquet: »Zum Glück ist wenigstens Prost Weltmeister geworden und nicht dieser andere.« Zwischen Prost und Ayrton Senna wiederum herrschte einige Jahre später bei McLaren eine so leidenschaftliche Fehde, dass vor den Rennen gelost wurde, welcher Motor der Firma Honda in welches Auto geschraubt wurde, damit bloß keiner das Gefühl haben konnte, benachteiligt zu werden. Die Angst, nicht auf Augenhöhe mit dem Teamkollegen zu sein, sie kann paranoide Züge annehmen.
Auch zwischen Sebastian Vettel und Mark Webber spitzt sich die
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