Polgara die Zauberin
dem Sturm, der über Vo Wacune hereinbrach.
Es bestand kein Zweifel daran, daß unsere Lage verzweifelt war. Unsere Armeen waren zwar im Anmarsch, aber sie würden Vo Wacune nie und nimmer rechtzeitig erreichen, um den asturischen Angriff auf die Stadt abzuwehren, und wenn unsere Streitmacht dann endlich eintraf, wären auch die Mimbrater schon da und würden Garteons Heer verstärken. Wie so oft hing alles von der Zeit ab.
Den Rest jener stürmischen Nacht verbrachte ich in meiner Bibliothek, um unsere Lage zu überdenken. In bezug auf bestimmte Fragen war die arendische Denkweise unverrückbar. Die Seele einer jeden Herrschaft liegt in ihrer Hauptstadt. Mimbre würde nicht existieren ohne jene goldene Festung am Arendfluß; Asturien wäre ohne Vo Astur bedeutungslos; und das wacitische Herzogtum gründete sich fast vollständig auf die eleganten, himmelstürmenden Türme von Vo Wacune. Es war diese Besonderheit, die mich davon überzeugt hatte, in meinem Herzogtum keine Hauptstadt zu gründen. Mein Herrschaftsgebiet hatte kein Zentrum. Die Zerstörung der Stadt Erat hätte mich geärgert, aber nicht vernichtet. Ich erkannte nur allzu deutlich, wenn Vo Wacune fiele, würde Wacune aufhören zu existieren. Schon nach wenigen Generationen wäre es kaum mehr als eine verblassende Erinnerung. Die Stadt zu retten war also lebensnotwendig.
Das Sommergewitter, das über uns hereingebrochen war, verzog sich nicht, wie fast alle Stürme in jener Jahreszeit mit Einsetzen der Dämmerung, sondern toste und wütete weiter und fuhr fort, das Leben allgemein unerträglich zu machen.
Dies war jedoch der entscheidende zehnte Tag, und so zog ich meinen Umhang an und ging in den Palast, um zu erkunden, wie wir vorankamen. Ich traf Ontrose und Andrion in ein Gespräch vertieft an. »Vater ist auf dem Weg, meine Herren«, teilte ich ihnen mit. »Dieses Wetter wird ihn allerdings vermutlich ein wenig aufhalten.«
»Fürderhin dürfte es, wie mir scheint, den Marsch unserer eigenen Truppen aus Eurem Herzogtum hierher verlangsamen«, fügte Andrion hinzu.
»Dann müssen wir, koste es, was es wolle, unsere Stadt mit den Kräften verteidigen, die uns zur Verfügung stehen«, schloß Ontrose. »Die Aufgabe ist, wie mich dünket, anspruchsvoll, aber nicht hoffnungslos.« Sie machten sich schon genug Sorgen, so daß ich mich entschloß, die Nachricht über die Mimbrater zuerst einmal für mich zu behalten.
Wind und Regen hielten die nächsten zwei Tage über an, und das verlangsamte auch Garteons Marsch auf Vo Wacune. Zumindest stand er nicht vor den Toren der Stadt, als das Unwetter bei Tagesanbruch endlich abzog und die Sonne wieder herauskam. Vater erreichte die Stadt gegen Mittag, und er traf mich und Ontrose in meinem immer noch tropfnassen Rosengarten beim Streiten an. Mein geliebter Kämpe, in sein Kettenhemd gerüstet, tat sein Möglichstes, um mich zum Verlassen von Vo Wacune zu überreden, bevor es zu spät war. »Es muß sein, Polgara«, bestürmte er mich. »Ihr müßt Vo Wacune verlassen und Euch an einen sicheren Ort begeben. Die Asturier stehen beinahe schon vor den Toren.« Trotz allem, was ich ihm über meine Absicht, Garteons Truppen zu empfangen, erzählt hatte, war er immer noch um meine Sicherheit besorgt!
»O Ontrose!« sagte ich zu ihm. »Hör auf damit. Du weißt ganz genau, daß ich auf mich selbst aufpassen kann. Für mich persönlich besteht nicht die geringste Gefahr.«
Das war der Zeitpunkt, als Vater, in Falkengestalt sich auf meinem Lieblingskirschbaum niederließ, in seine menschliche Gestalt zurückverwandelte und herunterkletterte. »Er hat recht, Pol«, teilte er mir unumwunden mit »Für dich gibt es hier nichts mehr zu tun.«
»Wo bist du so lange geblieben?« fragte ich. »Ich hatte mit dem Unwetter zu kämpfen. Du packst jetzt deine Sachen zusammen. Wir müssen sofort von hier verschwinden.«
Ich traute meinen Ohren nicht! »Hast du den Verstand verloren? Ich gehe nirgendwohin. Jetzt wo du hier bist, können wir die Asturier zurückschlagen.«
»Nein, das können wir nicht. Das ist eine Tatsache, Pol. Dies ist eines der Dinge, die geschehen müssen, und dir und mir ist es nicht erlaubt, in irgendeiner Weise einzugreifen. Es tut mir sehr leid, Pol, aber der Mrin ist in dieser Hinsicht unmißverständlich. Wenn wir das hier zu beeinflussen versuchen, wird es den Verlauf der gesamten Zukunft ändern.«
»Wahrscheinlich steckt Ctuchik hinter dem Ganzen«, sagte ich, verzweifelt auf der Suche nach
Weitere Kostenlose Bücher