Polgara die Zauberin
wir auch. Ungefähr zwei Stunden vor Anbruch der Dämmerung verließen wir Muros. Wir nahmen die kaiserliche Straße, die westwärts nach Camaar verlief, und als wir uns an die zehn Meilen außerhalb der Stadt befanden, wechselten wir auf die Nebenstraße, die zum Westzipfel des Camaarsees abzweigte. Gegen Mittag erreichten wir den See, und dann umrundeten wir ihn am Nordufer und bogen auf eine kaum benutzte kleine Straße nach Medalia ab.
Wir führten zwei Wagen und einige Reitpferde mit uns, und ich hatte meine Familie unter Drohungen dazu gebracht, sich wie einfache Bauern zu kleiden. Die Wagen waren in der Tat mehr für den Schein als für unsere Bequemlichkeit da. Die Nahrungsvorräte und Decken waren notwendig, aber die nichtssagenden Möbelstücke, die wir darüber gestapelt hatten, dienten lediglich dem Zweck, den Anschein einer großen Bauernfamilie beim Umzug zu erwecken.
Wir brauchten eineinhalb Wochen, um zum Eratsee zu gelangen, und die Familie verbarg sich über Nacht im Wald, während ich mich in eine Eule verwandelte, um die Gegend sorgfältig abzusuchen. Ich entdeckte kein Anzeichen von Angarakanern, und so zogen wir vorsichtig auf einem kaum sichtbaren Holzfällerpfad bis kurz vor mein Rosendickicht.
Hier nahm ich eine weitere schnelle Überprüfung vor. Etwa eine Meile entfernt befanden sich drei Holzfäller. Um sicherzugehen, murmelte ich ihnen ein »Schlaft!« von dem Ast aus zu, auf dem ich hockte. Dann kehrte ich zu meiner Familie zurück, bat die Rosen, uns eine Gasse zu öffnen, und dann gingen wir alle zu meinem Landsitz.
»Was für ein prachtvolles Haus!« rief Eldara, Gerans Frau, aus.
»Es freut mich, daß es dir gefällt, Liebes«, sagte ich. »gewöhnt euch dran, denn ihr werdet vermutlich mehrere Jahre hier bleiben.«
»Lange genug jedenfalls, um alles zu putzen«, erklärte Geran in resigniertem Tonfall.
»Ich verstehe nicht«, sagte Eldara mit einem verwirrten Gesichtsausdruck.
»Bald, Liebste«, versprach Geran ihr, »bald wirst du es verstehen, glaub mir. Wo haben wir die Besen und Schrubber gelassen, Tante Pol?«
»In dieser Vorratskammer neben der Küche, Geran.«
»Nun denn«, wandte Geran sich an seine Familie, »wir sollten reingehen und anfangen.«
K APITEL 28
Mein Haus an den Ufern des Eratsees war in jenen frühen Jahren unser Refugium und unsere letzte Zuflucht – meine Version von ›einer Höhle in den Bergen‹. Ich benutzte es mehrere Male zu diesem Zweck, bis ich in puncto Flucht und Spurenverwischen geschickter wurde. Allein zu wissen, es war da und kein Murgo würde es vermutlich jemals entdecken, vermittelte mir ein tiefes Gefühl von Sicherheit.
Dieses erste Mal unterschied sich leicht von den späteren Malen, da es einen guten Grund dafür gab, unseren Aufenthalt auszudehnen. Geran war als Prinz geboren, und seine frühesten Kindheitserinnerungen und all seine tief verwurzelten Instinkte gründeten auf dieser Tatsache. Anonymität entsprach einfach nicht seinem Naturell. Er war in eine königliche Familie hineingeboren worden, und da es eine gute königliche Familie war, hatte seine Erziehung darauf abgezielt, daß er seine Pflichten ernster nahm als seine Privilegien. Er neigte dazu, überall die Führung zu übernehmen, und übertraf sich selbst, wenn es darum ging, seinen Mitmenschen zu helfen. Das steckte wahrscheinlich auch hinter unserem BeinaheStreit wegen dieses städtischen Amtes. Seine Denkart war höchst bewundernswert, in unseren besonderen Umständen jedoch das Schlimmste, was uns widerfahren konnte. Kalte Logik sagte mir, daß Geran einfach zu gut für die Welt da draußen war. Und so hatte unser Aufenthalt inmitten der Rosen, obwohl es mir in der Seele wehtut, es zuzugeben, nur den einen Zweck – daß Geran und seine Frau altern und sterben würden.
Erscheint euch das herzlos? Ich liebte Geran – so, wie ich mein eigenes Kind geliebt hätte. Meine oberste Verantwortung indes galt dem Geschlecht als Ganzem, nicht den einzelnen Menschen. Und die Sicherheit des Geschlechts hing davon ab, daß ich jene Erben, die nicht in der Lage waren, die erforderliche Anonymität zu wahren, in strenger Abgeschiedenheit von den Augen der Öffentlichkeit hielt. Der Fall wiederholte sich noch mehrmals während der darauffolgenden Jahrhunderte, und es schmerzte mich stets zutiefst, wenn ich mich gezwungen sah, einen dieser ernsthaften jungen Männer auf meinen Landsitz zu bringen und ihn so lange dort zu halten, bis er starb. Manchmal frage ich mich, ob meine
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