Polgara die Zauberin
Weise anders. Der primitive Mensch – und dieser Begriff ließe sich auf nahezu die gesamte Menschheit anwenden – betrachtet eine Sonnenfinsternis mit abergläubischer Furcht. Astronomen kennen die Ursachen dafür und können eine Finsternis sogar einigermaßen genau vorhersagen. Die Sonnenfinsternis des Jahres 4850 hingegen war ein EREIGNIS ersten Ranges. Ihr plötzliches Auftreten war völlig unvorhersehbar, und niemand erkannte, daß sie schlicht notwendig war. Alle Prophezeiungen sprechen von der Finsternis, also mußte sie stattfinden. Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, daß Torak selbst einfach die Sonne verdunkelte, um die Prophezeiung zu erfüllen, die seine Ankunft ankündigte. Wißt ihr, er hätte es tun können.
Legt ihr Wert darauf, daß ich euch die mathematischen Berechnungen darlege, mit deren Hilfe man eine Sonnenfinsternis vorhersagen kann? Nein? Dachte ich's mir doch.
Wie dem auch sei, während die Welt noch von jener mittäglichen Finsternis eingehüllt wurde, schreckte mich Mutters Stimme durch ihre Dringlichkeit auf. »Darauf haben wir gewartet, Pol«, verkündete sie triumphierend. »Mach dich schon einmal bereit«
»Wofür?«
»Torak kommt. Er hat Ashaba verlassen und befindet sich auf dem Weg nach Mal Zeth. Er wird den derzeitigen König absetzen und die absolute Herrschaft über ganz Mallorea an sich reißen. Dann wird er nach Westen kommen, um den Orb zurückzuholen.«
»Wieviel Zeit bleibt uns?«
»Wahrscheinlich nicht genug. Ihr werdet mehr als genug Scharmützel verlieren, aber das zählt nicht. Dies ist eine jener Angelegenheiten, die durch ein EREIGNIS geregelt werden müssen. Das Kind des Lichtes und das Kind der Finsternis werden sich in Arendien begegnen.«
»Ist Darel das Kind des Lichtes?«
»Nein. Das EREIGNIS, das Torak und den rivanischen König betrifft, liegt noch in ferner Zukunft«
»Schön und gut, aber wer ist das Kind des Lichtes?«
»Im Moment bin ich es.«
»Du?«
»Ich werde jedoch nicht diejenige sein, die sich Torak in Arendien entgegenstellt und Darel wird es auch nicht sein. Wir sind in eine Reihe von EREIGNISSEN verwickelt die das große vorbereiten.«
»Mußt du so geheimnisvoll daherreden, Mutter?« fragte ich mit einer gewissen Schärfe in der Stimme.
»Ja, das muß ich tatsächlich. Wenn du zuviel weißt, würdest du manches anders tun, als du es sollst. Wir dürfen uns nicht einmischen, Pol. Dies ist nicht der Ort für unbegrenzte Eigenmächtigkeiten.«
Und dann war sie fort.
Auf eine Sonnenfinsternis, diese unnatürliche Nacht mitten am Tage, folgt für gewöhnlich eine ebenso unnatürlich wirkende Helligkeit, wenn die Sonne zurückkehrt. Die Finsternis von 4850 war anders. Es wurde nicht wieder Licht, nachdem die Finsternis vorüber war, weil dicke, regenschwere Wolken während der Verdunkelung aufgezogen waren. Dann begann es zu regnen.
Und es regnete weiter, fünfundzwanzig Jahre lang.
Ungefähr einen Tag nach ›Toraks Sonnenfinsternis‹ schickte ich meine Gedanken zu den Zwillingen im Tal aus. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, daß ich in dieser Art der Verständigung wesentlich bewanderter bin als die übrige Familie, weil ich soviel Erfahrung damit habe. Schließlich habe ich, wie ihr euch vielleicht erinnert, mein Herzogtum nach dem Fall von Vo Wacune von der Hütte meiner Mutter aus regiert. Während jener Jahre habe ich Malon Killaneson sozusagen aus der Ferne springen lassen. Ich bin also fast genausogut darin, Leute anzudenken, wie ihnen zu erzählen, was sie tun sollen.
»Onkel«, sagte ich, um die Aufmerksamkeit der Zwillinge zu erlangen, »wo steckt mein Vater?«
»Wir haben nichts von ihm gehört, Pol«, antwortete Belkira.
»Er rennt wahrscheinlich durch die Weltgeschichte und warnt jeden«, fügte Beltira hinzu. » War die Sonnenfinsternis nicht spektakulär?«
»Das ist ein Vulkanausbruch auch – oder eine Flutwelle«, versetzte ich trocken. »Falls der alte Wolf sich zufällig bei euch meldet, sagt ihm, daß ich mit ihm reden muß – bald.«
»Wir werden es weitergeben, Pol«, versprach Belkira.
»Ich würde das zu schätzen wissen.«
Die Monate zogen indes ins Land, und noch immer gab es keine Nachricht von meinem vagabundierenden Vater. Ich wurde langsam richtig ärgerlich auf ihn.
Im Frühling des Jahres 4851 dann hörte Darels Herz auf zu schlagen, während er ein Stück weißglühenden Stahls in seiner Schmiede mit dem Hammer bearbeitete. Ich habe diese plötzlichen Herzstillstände
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