Polgara die Zauberin
zu wälzte. Für sich betrachtet waren diese kleinen Stiche und Wunden nicht sonderlich bedeutsam, aber zusammengenommen konnte man sie durchaus als fortgesetzten Aderlaß bezeichnen. Ich bezweifle, daß es Torak überhaupt bewußt war, aber er verblutete langsam, während er sich allmählich nach Süden schleppte. Die angarakanischen Versuche, ihre Angreifer zu verfolgen und zu bestrafen, verschlimmerten alles, da die angarakanischen Verfolger in den seltensten Fällen zurückkehrten. Dort unten bekam ich Kavallerietaktik erster Güte zu sehen. Der erste Angriff der algarischen Reiter war verhältnismäßig unbedeutend – eine Ohrfeige sozusagen. Sein einziger Zweck bestand darin, die Eliteeinheiten der angarakanischen Kavallerie so lange zu reizen, bis sie die Verfolgung aufnahmen – eine Verfolgung, die sie in mehrere sorgfältig geplante Hinterhalte führte, ausgelegt in den zahllosen flachen Senken außer Sicht der Hauptstreitmacht. ChoRams Reiter schöpften systematisch den Rahm von Toraks Armee ab.
Als diese Vorgehensweise den Reiz des Neuen einbüßte, begannen sich die Algarer damit zu unterhalten, gewaltige Viehherden in Panik zu versetzen und geradewegs in die dicht gedrängten Malloreaner, Murgos, Nadraker und Thulls zu treiben. In strategischer Hinsicht war Algarien nichts als eine riesige Falle, und der Drachengott selbst hatte sie zuschnappen lassen.
So ging es immer weiter und weiter und weiter, langweilige Wiederholungen der immer gleichen garstigen kleinen Spiele. Nach einem Tag hatte ich genug gesehen, aber Vater konnte sich noch nicht losreißen. Aus irgendeinem Grund scheint er sich an solchen Dingen zu weiden.
Am dritten Abend flogen wir ein Stück abseits der Flanke der Invasionsarmee. Nachdem wir gelandet waren, teilte ich meinem blutrünstigen Erzeuger ziemlich erbost mit, daß ich genug gesehen hätte.
»Vermutlich hast du recht, Pol«, sagte er fast bedauernd. »Wir sollten zur Insel der Winde zurückkehren und die Alorner benachrichtigen.« Dann lachte er. »Weißt du, ich glaube, wir haben Algar Flinkfuß immer unterschätzt. Dieses Land ist ein Geniestreich. Er hat sein Volk mit voller Absicht zu Nomaden gemacht, damit es keine Städte bauen würde. Ganz Algarien ist nichts als eine menschenleere, unermeßliche Weite, auf der jede Menge Gras wächst. Die Algarer haben keine Städte zu verteidigen, und so können sie weite Landstriche bedenkenlos aufgeben. Sie wissen, wenn die Angarakaner durchgezogen sind, können sie zurückkehren. Der einzige Ort von Wichtigkeit in diesem öden Königreich ist die Feste, und sie ist noch nicht einmal eine Stadt, sondern ein riesiger Köder.«
»Ich habe Algar immer gemocht«, gestand ich. »Unter anderen Umständen hätte ich mich sogar noch mehr für ihn erwärmen können. Er wäre vermutlich ein interessanter Ehemann gewesen.«
»Polgara!« Vater klang wirklich schockiert, und ich konnte darüber eine Zeitlang herzlich lachen – jedenfalls lange genug, um ihm die Stimmung zu vermiesen. Es ist zu schön, ihm das anzutun.
In dieser Nacht verschlechterte sich das Wetter wieder, und Vater und ich verließen Algarien am nächsten Morgen im Nieselregen. Wir überquerten das sendarische Gebirge und trafen zwei Tage darauf auf der Insel der Winde ein.
Die alornischen Könige waren höchst beunruhigt wegen der zweiten, von Urvon befehligten angarakanischen Armee. Ich schätze, daß man einen Krieg nicht so richtig genießen kann, wenn man dauernd über die Schulter nach unerwarteten neuen Feinden Ausschau halten muß. Zudem erzürnte es die Alorner ein wenig, daß Vater ihnen den Vorschlag unterbreitete, das Hauptquartier nach Tol Honeth zu verlegen. Alorner können manchmal wie kleine Kinder sein. Da hatten sie diesen phantastischen Krieg in ihrem Land und wollten ihn, selbstsüchtig wie sie waren, mit niemandem teilen.
Ich kannte Brand mittlerweile gut genug, um offen mit ihm zu sprechen. »Verhalten wir uns in dieser Sache nicht ein bißchen zu blasiert, mein Freund?« gab ich zu bedenken. »Du wirst dich einem Gott im Zweikampf stellen und tust es ab, als wäre es irgendeine unwichtige kleine Hausarbeit – etwa wie das Reparieren eines Zaunes oder das Holzhacken fürs abendliche Kaminfeuer.«
»Es hat doch keinen Sinn, sich darüber aufzuregen, Pol«, entgegnete er in seiner tiefen, sanften Stimme. »Es wird geschehen, ob ich will oder nicht. Ich kann mich nicht verstecken, und ich kann nicht weglaufen, warum also sollte ich mir schlaflose Nächte
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