Polgara die Zauberin
Möglichkeiten gehabt, Chamdars Bild für mich heraufzubeschwören, doch aus irgendeinem Grund war keiner von uns auf die Idee gekommen. Wir haben nie zweifelsfrei herausgefunden, wie Chamdar mich aufgespürt hatte, aber ich kann mir vorstellen, wie es sich zugetragen haben mochte. Irgendwo in irgendeiner Schenke hatte irgendein geschwätziger Reisender ›diesen Glückspilz‹ erwähnt, und zufällig war ein Dagashi anwesend gewesen. Dann war Chamdar nach Seline gekommen, um sich der Sache selbst anzunehmen … Nun gut, jetzt war es zu spät, um uns eine ›Höhle im Gebirge‹ zu suchen. Offenbar hatte Ctuchiks Handlanger Gelanes Identität aus den Gedanken des jungen Mannes herausgefiltert – ebenso wie Gelanes Sucht nach Berühmtheit. Der Rest war ein Kinderspiel gewesen. Der hiesige Zweig des Bärenkults hatte sich offenkundig blenden lassen, aber seine Mitglieder besaßen auch nicht genug Grips, um den schlimmsten Revisionismus zu erkennen, wenn sie ihn vor Augen hatten. Gelane erhielt die Anerkennung – und Schmeichelei –, nach der es ihn so verlangte, und Chamdar be kam einen rivanischen König in seine Klauen.
Wir mußten dringend diese Verbindung kappen. Ich kannte einen Weg, um das zu erreichen, der nicht annä hernd so drastisch war wie Vaters Idee, Gelanes Verstand komplett auszulöschen. Aber es war nicht ungefährlich, Chamdars unzusammenhängende Gedanken hörbar zu machen. Hätte er meine Einmischung bemerkt, hätte er Gelane höchstwahrscheinlich auf der Stelle getötet – oder es zumindest versucht. Um das zu verhindern, mußte ich sein Bewußtsein mit einer Art nachdenklicher Verträumtheit überlagern. Seine Gedanken mußten soweit abschweifen, daß seine Wachsamkeit eingeschläfert wurde. Es würde nicht leicht werden, und darum zog ich es auch vor, es selbst zu erledigen und nicht Vater zu überlassen. Mein Vater neigt bei seiner Arbeit stets zu nackter Gewalt. Subtilität ist ein Fremdwort für ihn.
Abgesehen von den offensichtlichen körperlichen Un terschieden mag das die eine Sache sein, die Männer am meisten von Frauen unterscheidet. Wir denken anders, und darum handeln wir auch anders. Viele Leute – hauptsächlich Männer – regen sich ungeheuer über diese Unterschiede auf, aber könntet ihr euch vorstellen, wie öde das Leben wäre, wenn wir alle das Gleiche denken und tun würden? Also wirklich, meine Herren, so ist es doch viel lustiger! Wie dem auch sei, Gelane hielt gerade eine ziemlich hochtrabende Rede darüber, wie wichtig er jetzt sei, als Chamdars nunmehr hörbare Überlegungen meinen prah lerischen Neffen verstummen ließen. Die Ankündigung »Ctuchik wird mich belohnen, wenn ich diesen Tropf töte« erregte endgültig Gelanes Aufmerksamkeit – wie auch die der übrigen Bärenkultanhänger. Vater eröffnete mir später, daß zwei der in zottige Felle gehüllten Fana tiker sich sehr über Chamdars Enthüllungen erregten.
Offenbar hatte Chamdar die Klugheit besessen, sich zwei Leibwächter mitzunehmen.
Das laute Grübeln von Ctuchiks alles andere als loya lem Handlanger schien nicht enden zu wollen. Jedenfalls dauerte es lange genug, daß Gelane wieder zur Vernunft kam und erkannte, wie man sein aufgeblasenes Ego dazu benutzt hatte, ihn zu täuschen. Als Chamdars Tagtraum seinen Höhepunkt erreichte und er vor seinem geistigen Auge zum Jünger befördert wurde, lieferte Gelane ihm eine rasche Demonstration der alornischen Art, indem er ihm einen Faustschlag mitten ins Gesicht versetzte. Chamdar drehte sich um seine eigene Achse und stürzte zu Boden. Seinem mittlerweile völlig verwirrten Geist entglitt die Kontrolle über seine Marionette, meinen Neffen. Als Chamdars Macht über Gelane so abrupt endete, traf ihn das volle Ausmaß seiner eigenen Ver blendung fast so hart, wie sein Fausthieb Chamdar ge troffen hatte. Es war jedoch nicht der geeignete Zeitpunkt für ausführliche Selbstkritik, da Chamdars Leibwächter paar zwei ausnehmend häßliche Messer zückte und ih rem Herrn zu Hilfe eilte. Glücklicherweise erachteten die übrigen Kultanhänger Gelanes Verteidigung als ihre religiöse Pflicht. Ihre Frömmigkeit auf diesem Gebiet war, gelinde gesagt, beispielhaft.
Nachdem Chamdar geflohen und seine Leibwächter überwältigt waren, gewann Gelane die Fassung zurück.
»Wir sind hintergangen worden!« rief er aus. »Das war kein Belarpriester!«
»Was sollen wir tun, Göttertöter?« fragte ihn einer der riesenhaften Alorner. »Sollen wir ihn zur Strecke bringen und
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