Polgara die Zauberin
mag häßlich, ihre Flügel mögen plump sein, aber ihre Ohren machen diese Nachteile mehr als wett. Ich vermochte jedes einzelne Wort zu verstehen, das die Palasteunuchen sagten. Ich konnte sogar das trockene Schuppenrascheln der Schlangen hören, die in den dunklen Ecken des Palastes umherglitten. Das bereitete mir Unbehagen. Schließlich ist die Fledermaus ein Nagetier, und Nagetiere haben ihren festen Platz auf dem Speisezettel von Schlangen.
»Es ist absolut lachhaft, Rissus«, sagte einer der kahlgeschorenen Eunuchen soeben zu seinem Gefährten. »Kann sie nicht einmal lesen? « Er sprach mit einer klangvollen Altstimme.
»Ich bin mir sicher, sie kann es, Salas«, entgegnete Rissus, »aber ihr Verstand – oder was davon noch übrig ist – beschäftigt sich mit anderen Dingen.«
»Man sollte meinen, ihre Lehrer hätten sie gewarnt, daß die Angarakaner das schon einmal versucht haben. Wie kann sie nur so leichtgläubig sein? Nie würde ein Gott sie zur Frau nehmen!«
»Sie ist in dem Glauben erzogen worden, daß Issa sie zur Frau nehmen wird, Salas. Wenn sich ein Gott nach ihrer Gesellschaft sehnt, warum dann nicht auch ein anderer?«
»Jeder weiß, was das letzte Mal passierte, als eine unserer Königinnen in die angarkanische Falle ging«, ärgerte sich Salas. »Dieser Bursche, dieser Asharak, führt sie auf genau denselben Weg, und genau dasselbe wie damals wird passieren. Wenn das so weitergeht, haben wir im Handumdrehen wieder balkenschwingende Alorner hier.«
»Meldest du dich als Freiwilliger, um es ihr zu sagen?«
»Nein, ich nicht. Ihre Schmuseschlange ist gerade in der Häutung und sehr ungehalten. So möchte ich nicht sterben.«
Rissus zuckte mit den Schultern. »Die Antwort liegt vor unseren Augen, Salas. Irgendwann wird Asharak schließlich etwas essen oder trinken müssen.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist es, was mich so verblüfft. Ich habe jede Mahlzeit und jeden Weinkrug, die man ihm angeboten hat, mit genügend Sarka versetzt, um eine ganze Legion zu töten, aber er weigert sich beharrlich, etwas zu sich zu nehmen.«
»Was ist mit Odek?« schlug Salas vor. »Das würde er unmittelbar durch die Haut aufnehmen.«
»Er zieht nie seine Handschuhe aus! Wie soll ich jemanden umbringen, der so unkooperativ ist?«
»Warum jagst du ihm nicht einfach ein Messer zwischen die Rippen?«
»Er ist Murgo, Salas. Ich werde mich doch nicht auf einen Messerkampf mit einem Murgo einlassen! Meiner Meinung nach müssen wir einen professionellen Meuchelmörder dingen.«
»Aber sie sind furchtbar teuer, Rissus.«
»Betrachte es als deine Pflicht als Patriot, alter Knabe. Ich kann die Zahlen in meinen Rechnungsbüchern fälschen, so daß wir unser Geld wieder zurückbekommen. Laß uns in den Thronsaal gehen. Asharak besucht die Königin stets um Mitternacht – zwischen ihren anderen gesellschaftlichen Verpflichtungen.«
Dann entfernten sich die beiden in den Palast.
Obwohl ich kopfunter gehangen hatte, fand ich das Gespräch äußerst faszinierend. Ich entnahm ihm, daß die Diener der derzeitigen Salmissra ihre Herrscherin nicht sonderlich schätzten. Offenbar verfügte sie über keine großen Geistesgaben, und selbst die waren durch das Rauschmittel, das sie unter den Dutzenden verfügbaren bevorzugte, vernebelt. Dennoch enttäuschte mich Chamdar. Konnten sich die Angarakaner denn nichts Originelleres ausdenken als Zedars abgedroschenen alten Plan? Die Bemerkung, die Rissus beim Betreten des Palastes fallengelassen hatte, bot mir jedoch eine Gelegenheit, die ich nicht verstreichen lassen durfte. Falls Chamdar noch immer Asharak den Murgo mimte und eine mehr oder weniger feste mitternächtliche Verabredung mit Salmissra hatte, konnte ich mich um beide gleichzeitig kümmern und alle Probleme auf einen Schlag erledigen. Sparsamkeit der Mittel ist ebenso eine Tugend wie Ordnungsliebe. Sie ist wichtig, gilt aber gemeinhin nicht viel.
Von meinem letzten Besuch in Sthiss Tor mit Vater vor der Schlacht von Vo Mimbre erinnerte ich mich noch daran, daß Salmissras Palast nicht sonderlich gut beleuchtet war. Deshalb behielt ich meine Gestalt bei und flog durch das breite Portal hinein. Die Decken waren hoch und in tiefe Schatten getaucht, und ich war nicht die einzige Fledermaus unter den Dachbalken. Ich flitzte durch den gewölbten Gang, der zum Thronsaal führte, und als Salas und sein Freund diesen betraten, konnte ich hoch über ihren Köpfen hineinschlüpfen, bevor sie die Tür hinter sich schlossen. Dann flog ich in
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