Polgara die Zauberin
starrten mit aufgerissenen Augen in die Gegend, und das Wichtigste von allem, es herrschte völlige Stille.
Bei der dritten Strophe angelangt, nahm ich zusätzlich ein höchste Höhen erreichendes Koloratursopran in meinen kleinen Chor auf und modifizierte die Altpartie, damit sie mit dieser dritten Stimme harmonisierte.
In der vierten Strophe endlich, in der ich meine Argumente auch dem letzten verständlich machen wollte, teilte ich meine drei Stimmen und sang im Kontrapunkt, nicht nur musikalisch, sondern auch textlich. Es war ein bißchen wie ein Kanon, wenn jeder Sänger den ersten Satz seines Vorgängers mit einer gewissen Verzögerung wiederholt, um am Ende eine vielstimmige Harmonie zu schaffen. Ich sang in drei verschiedenen Stimmen, und jede dieser Stimmen sang verschiedene Worte.
Als ich mein Lied beendet hatte, gab es unter meiner Zuhörerschaft einige ziemlich entsetzte Blicke. Ich versank vor meinen Verehrern in einen tiefen Hofknicks, um dann in aller Ruhe auf die Tür zuzuschreiten. Aus irgendeinem Grund drängten sich meine teuren Gefolgsleute diesmal nicht um mich. Ist das nicht komisch? Statt dessen öffneten sie eine Gasse für mich, und einige der anwesenden Mienen kamen dem Zustand religiöser Verzückung schon recht nah.
Kamion, mein weltgewandter blonder Verehrer, stand an der Tür. Sein Gesichtausdruck zeugte von sehnsüchtigem Bedauern, als ich ein für allemal aus seinem Leben rauschte. Mit vollendeter Eleganz verneigte er sich vor mir, als ich diesen Ort verließ, an den ich nie wieder zurückkehren sollte.
Die Hochzeit meiner Schwester rückte rasch näher, und obwohl wir nicht darüber sprachen, hatten wir beide das Bedürfnis, soviel Zeit wie möglich miteinander zu verbringen. Da Beldaran Königin werden würde, hatte sie eine erkleckliche Anzahl rivanischer Damen zur Gesellschaft. Nach ihrer Hochzeit und der darauffolgenden Krönung würden sie ihre Hofdamen werden. Mir fiel auf, daß ein König eine entrückte, ja einsame Persönlichkeit sein kann: in seiner Macht erschöpft sich die Gesellschaft, die er braucht. Königinnen hingegen brauchen, wie alle Frauen, Gesellschaft. Außerdem fiel mir auf, daß ich die Gefährtinnen meiner Schwester ein bißchen nervös machte. Vermutlich ist das nicht allzu erstaunlich. Beldarans Wesen war sonnig, meins nicht. Das war der eine Grund. Beldaran sollte einen Mann heiraten, den sie bis zum Wahnsinn liebte, während meine Zukunft vom Verlust einer Schwester überschattet wurde, die bis dahin der absolute Mittelpunkt meines Lebens gewesen war. Darüber hinaus hatten Beldarans Gesellschaftsdamen von meiner Abschiedsvorstellung für meine jugendlichen Verehrer gehört, und Zauberer – Zauberinnen in meinem Fall – scheinen die Menschen immer nervös zu machen.
Unsere Hauptbeschäftigung in jener Zeit war Beldarans Hochzeitskleid, und das brachte Arell in unser Leben.
Ich bin mir sicher, daß dieser gebräuchliche rivanische Name Ce'Nedra bekannt ist.
Arell war Gewandschneiderin. Die meisten Damen, die sich diesem Beruf verschrieben haben, sind dünne, schmächtige Mädchen mit zurückhaltendem Wesen. Nicht so Arell. In gewisser Weise war sie wie ein Feldwebel, wenn sie in ihrem barschen, geschäftsmäßigen Tonfall, der keinen Widerspruch duldete, Befehle erteilte. Sie war, wie man so schön sagt, von der Natur großzügig ausgestattet worden. Obwohl sie erst um die Mitte Dreißig war, hatte sie das, was man einen matronenhaften Busen nennt. Außerdem war sie eine sehr bodenständige Frau. Da ihr zweiter Beruf Hebamme war, gab es nur sehr wenig an den Funktionen des menschlichen Körpers, das ihr unbekannt gewesen wäre. In vielerlei Hinsicht war sie derselbe Persönlichkeitstypus, der Königin Layla von Sendarien einmal sein sollte.
Es rief eine Menge Erröten hervor, als sie über die körperliche Seite der Ehe zu sprechen begann, während ihre glitzernde Nadel in das schimmernde weiße Gewebe eintauchte und wieder herausfuhr, das einmal das Hochzeitskleid meiner Schwester werden sollte. »Männer machen sich zu viele Gedanken über diese Art Dinge«, erklärte sie einmal, als sie den Faden am Saum von Beldarans Gewand abbiß. »Ganz gleich, wie groß und bedeutend sie in der Welt draußen zu sein scheinen, im Schlafzimmer werden sie alle zu kleinen Jungen. Seid nett zu ihnen, und ihr dürft nie lachen. Lachen könnt ihr später, wenn ihr wieder allein seid.«
Meine Schwester und ich brauchten Arells Einführung eigentlich nicht. Mutter hatte
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