Polgara die Zauberin
Kauz, aber ich habe ihm so lange Honig ums Maul geschmiert, bis er mich unterrichtete, so daß ich heute gängige Krankheiten behandeln kann. Kräuter sind vermutlich der Kern der ärztlichen Kunst aber manches kann eben nicht mit Kräutern allein geheilt werden. Deshalb nahm Arell und Argak mich mit zu Salheim, dem Schmied, der daneben ein ausgezeichneter Knocheneinrichter ist. Er lehrte mich, gebrochene Glieder einzurenken und ruhigzustellen, und von ihm ging ich zu einem Barbier namens Balten, um die Kunst des Wundarztes zu erlernen.«
»Ein Barbier?« warf Belkira ungläubig ein.
Ich zuckte die Schultern. »Als Wundarzt brauchst du ein scharfes Besteck, Onkel, und ein Barbier sorgt dafür, daß seine Rasiermesser sehr scharf sind und es auch bleiben.« Ich lächelte ein wenig. »Möglicherweise habe ich die Kunst der Chirurgie während meines Praktikums dort tatsächlich bereichert. Balten hat seine Patienten für gewöhnlich sturzbetrunken gemacht bevor er zu schneiden begann. Aber ich habe mit Argak darüber gesprochen, und er stellte eine Mixtur aus verschiedenen Kräutern zusammen, die die Leute schlafen läßt. Es geht schneller und ist viel zuverlässiger als mehrere Gallonen Bier. Der einzige Teil der Chirurgie, auf den ich verzichten konnte, war die Grabräuberei.«
»Grabräuberei?« rief Beltira schaudernd aus.
»Das gehört zum Anatomiestudium, Onkel. Du mußt wissen, wo alles liegt bevor du jemanden aufzuschneiden beginnst. Deshalb graben Wundärzte normalerweise Leichen aus, um sie zu sezieren und so ihr Wissen zu erweitern.«
Onkel Beldin ließ den Blick über die unter der Last der Bücher ächzenden Regale schweifen, die beinahe jede offene Wand seines reizvollen Turms bedeckten. »Ich glaube, ich habe da irgendwo einige melcenische Manuskripte über Anatomie, Pol«, sagte er. »Ich werde mal sehen, ob ich sie für dich aufstöbern kann.«
»Würdest du das, Onkel, o bitte!« sagte ich. »Ich hole mir meine Informationen wesentlich lieber aus einem Buch, als sie aus jemandem herauszuschneiden, der schon einen Monat tot ist.«
Daraufhin schluckten sie alle ein wenig.
Meine Onkel interessierten sich naturgemäß für das, was auf der Insel der Winde vorgefallen war, da wir Beldaran alle sehr nahe standen, aber bezüglich der beiden Propheten quälte sie echte Neugier. Wir waren in die Ära eingetreten, die die Seher von Kell ›das Zeitalter der Prophezeiung‹ nennen, und der Meister hatte Vater mitgeteilt, daß die beiden Notwendigkeiten durch den Mund von Wahnsinnigen zu uns sprechen würden. Das Problem bestand, wie man sich denken kann, darin, herauszufinden, welchem Wahnsinnigen man Ohr und Vertrauen schenken sollte.
»Vater scheint der Ansicht zu sein, er habe die Antwort auf dieses Problem gefunden«, erzählte ich ihnen eines Abends, als wir uns im Turm der Zwillinge zusammengefunden hatten. »Er glaubt, die Notwendigkeit offenbare sich, indem sie den echten Propheten die Worte ›das Kind des Lichtes‹ in den Mund lege. Wir wissen alle, was diese Worte bedeuten, und gewöhnliche Menschen wissen es nicht. Wie dem auch sei, sowohl Bormik als auch der Dorftrottel in Braca haben den Begriff benutzt.«
»Das ist praktisch«, merkte Belkira an.
»Und geldsparend«, fügte ich hinzu. »Stiernacken war ein wenig unglücklich über die nicht unerheblichen Ausgaben, Schreiber bezahlen zu müssen, die jeden Verrückten im Königreich bewachen.«
Es geschah während jener Zeit gemütlicher Häuslichkeit, daß Mutter mir die Bedeutung des Silberamuletts erklärte, das Vater für mich angefertigt hatte, »Es hilft dir dabei, deine Macht zu bündeln, Pol«, führte sie aus. »Wenn du die Idee von etwas in deinen Gedanken formst, das du tun möchtest – etwas, von dem du nicht weißt, ob es deine Kräfte nicht übersteigt –, dann kanalisiere den Gedanken mit Hilfe deines Amuletts, und es wird deinen Willen verstärken.«
»Warum hat Beldaran dann auch eines, Mutter? Ich liebe sie natürlich, aber ›Talent‹ scheint sie mir nicht zu haben.«
Mutter lachte. »Oh, liebe, liebe Polgara«, sagte sie. »In mancher Hinsicht ist Beldaran sogar noch ta lentierter, als du es bist«
»Was redest du da, Mutter? Ich habe sie nie irgend etwas tun sehen.«
»Ich weiß. Das wirst du wahrscheinlich auch nie. Du tust immer, was sie dir sagt nicht wahr?«
»Nun –« Ich hielt inne, als dieser Gedanke sich mir aufdrängte. Die süße, sanfte Beldaran hatte mich beherrscht, schon bevor wir das Licht der Welt
Weitere Kostenlose Bücher