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Polivka hat einen Traum (German Edition)

Polivka hat einen Traum (German Edition)

Titel: Polivka hat einen Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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mich.»

7
    Grauer Himmel über Wohnsilos, die Autos zischen auf der regennassen Fahrbahn. Rechts ein langer Wall containerartiger Verschläge, darin eine Fahrschule, ein Supermarkt und eine Apotheke, gegenüber das kleine Spital von Méru. Ville sous vidéo-surveillance! , liest Polivka auf einer emaillierten Hinweistafel. Dafür braucht er keine Übersetzung. Wenn der Mensch so werden soll, wie er zu sein hat, muss die Obrigkeit ein waches Auge auf ihn haben. Polivka schlägt seinen Jackenkragen hoch.
    Knapp zehn Minuten später sind die zwei am Ziel. Avenue Jean Sébastien Bach , steht auf einer weiteren Tafel, und darunter Lotissement bonheur de la forêt , was laut Hammel so viel heißt wie: Wohnsiedlung Waldesglück . Vor ihnen erstreckt sich eine schier endlose Reihe ebener, spärlich bewachsener Gärten mit niedrigen, schmucklosen Einfamilienhäusern.
    Neben dem Gartentor von Nummer 146 ist ein unscheinbares Messingschild befestigt: Jaques Guillemain – luthier – fabrication et réparation .
    «Wir müssen durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingehen», deklamiert Polivka.
    «Wie bitte?»
    «Die Adresse, Hammel, die Adresse: Johann Sebastian Bach Nummer 146. Im Bach-Werke-Verzeichnis ist das eine kirchliche Kantate mit dem Titel Wir müssen durch viel Trübsal. Haben Sie das nicht gewusst?» Polivka grinst. Es tut ihm sichtlich wohl, nun endlich auch ein bisschen renommieren zu können. «Und dann wohnt auch noch ein Instrumentenbauer hier», fügt er hinzu.
    « Hat hier gewohnt», sagt Hammel ungerührt. «Und jetzt? Was sollen wir tun?»
    «Wir schauen, ob Madame Guillemain bereits aus Wien zurückgekehrt ist.»
    Polivka drückt auf die Klinke, doch das Gittertor ist zugesperrt. Er betätigt den Klingelknopf unter dem Messingschild und wartet eine Weile. Keine Antwort. Die Tür bleibt verschlossen, hinter den Gardinen regt sich nichts.
    «Dann also Räuberleiter, Hammel.»
    «Aber Chef! Sie wollen doch nicht …»
    «Natürlich will ich. Oder glauben Sie, ich fahr jetzt einfach so nach Wien zurück?»
    «Wir könnten uns doch in Paris ein Zimmer nehmen und dann morgen ganz gemütlich …»
    «Räuberleiter», sagt Polivka drohend.
    Hammel lehnt sich also rücklings an den Zaun und legt die Hände ineinander. Sekunden später landet Polivka auf allen vieren im feuchten Gras. Zu den zwei grünen Schmutzflecken auf seinem Hinterteil gesellen sich nun zwei weitere auf seinen Knien.
    «Scheiße.» Polivka wischt sich die Hände an der Hose ab und entriegelt das Tor, um Hammel einzulassen.
    «Leise jetzt …»
    Sie umrunden das Gebäude, um in den hinteren, von der Straße her nicht einsehbaren Teil des Gartens zu gelangen. Hier besitzt das Haus eine Veranda, von der man auf einige Ziersträucher und – jenseits des Zauns – auf einen undurchdringlichen Waldsaum blickt. Kein Windhauch und kein Vogel, nichts regt sich im Waldesglück.
    Polivka steigt die Treppe zur Veranda hoch. Gebückt schleicht er unter den Fenstern entlang und späht durch die Glastür, die ins Innere des Hauses führt. Er sieht in einen menschenleeren Raum, in ein banales Wohnzimmer, wie man es auch aus Frauentausch- und Super-Nanny-Serien im Privatfernsehen kennt. Ein Esstisch, eine Couch, eine Kommode. An der Wand diverse Nachdrucke von Renoir, Monet, Toulouse-Lautrec. Man ist schließlich in Frankreich.
    Hammel, der im Garten wartet, tritt nervös von einem Bein aufs andere. Seine Unruhe steigert sich, als von der Straße her das Geräusch eines Motorrads ertönt. Kurz vor dem Haus wird die Maschine langsamer; ihr Dröhnen ebbt zu einem dumpfen Grollen ab und erstirbt.
    Auch Polivka horcht jetzt auf. Ein Wink zu Hammel, sich so rasch es geht im Buschwerk zu verstecken, dann eilt auch er auf der Suche nach Deckung die Treppe hinab. Gerade noch rechtzeitig findet er Schutz hinter einem der Sträucher, als eine schlanke Gestalt um die Hausecke biegt. Schwarze Ledermontur, schwarze Stiefel. Die bleiernen Wolken spiegeln sich im Vollvisier des schwarzen Sturzhelms, der wie ein großer, augenloser Schädel auf dem hochgewachsenen Körper sitzt. Es ist ein gewaltiges schwarzes Insekt, das da zur Veranda hinaufschleicht, denkt Polivka, eine gefährliche, giftige Ameise.
    Nur dass die Ameise ein Stahlrohr in den Händen hält.
    Schon ist das Klirren zerberstenden Glases zu hören, das Knirschen der Stiefel auf den Splittern. Das Insekt kriecht durch den Türrahmen ins Haus.
    «Herrgott, Chef, was tun Sie da!», zischt Hammel, als Polivka

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