Polivka hat einen Traum (German Edition)
Anstalten macht, sein Gebüsch zu verlassen.
«Wir sind Polizisten», flüstert Polivka zurück, «und müssen etwas unternehmen!»
«Nein! Wir sind Touristen ! Hier in Frankreich haben wir keinerlei Befugnis, und schon gar nicht dazu, einfach so in fremde Gärten einzusteigen!»
Überrascht von Hammels ungewohnter Vehemenz, hält Polivka inne. Er zögert lang genug, um – wenn auch widerstrebend – zu der Einsicht zu gelangen, dass Kollege Hammel recht hat.
«Schlappschwanz», murmelt Polivka.
Sogar wenn sie nichts anderes täten, als die Funkstreife zu holen, wäre ihnen eine Nacht im Kotter von Méru so gut wie sicher. Und dazu ein Anruf der französischen Behörde bei der Dienststelle in Wien, am besten gleich bei Oberst Schröck: Man habe hier zwei obdachlose Männer aufgegriffen, die sich im Besitz von – offenbar gestohlenen – Wiener Polizeiausweisen befänden. Da die beiden widerrechtlich ein Privatgrundstück betreten hätten und so weiter und so fort …
Den Rest will Polivka sich gar nicht ausmalen.
«Warmduscher», murmelt er. «Sitzbrunzer.»
Sie warten. Polivka kann spüren, wie sein Verdauungsfeuer aufflammt, wie sich sein Gekröse aufbläht. Helium statt Methan, das wäre jetzt die Lösung: Noch ein paar Minuten seinen Schließmuskel zusammenkneifen, und er würde sanft entschweben, hoch über Méru hinaus, bis alle Menschen unten auf der Erde aussähen wie Ameisen.
«Wir müssen hier irgendwie weg», raunt er zu Hammel hinüber. «Auf drei rennen wir los.»
«Und dann?»
«Wir suchen eine Telefonzelle und alarmieren die zuständige Polizeiwache.»
«Warum nicht mit dem Handy?»
«Rufnummernerfassung, Hammel. Anonym geht heutzutage gar nichts mehr.»
«In Ordnung … Sie zählen, Chef.»
Polivka macht sich startbereit. «Eins», beginnt er. «Zwei …» Die Drei bleibt ihm im Halse stecken.
Aus dem Haus tritt lauernd das Insekt, in einer Hand das Stahlrohr, in der anderen einen halb gefüllten Plastiksack. Es dreht den schwarzen Riesenschädel langsam hin und her, so als wolle es Witterung aufnehmen, huscht dann die Treppe hinab und verschwindet hinter der Hausecke. Kurz darauf lässt sich wieder das Brummen des Motors vernehmen, das rasch zu einem aggressiven Röhren anschwillt, um sich binnen weniger Sekunden in der Ferne zu verlieren.
Hammel steht auf und wischt sich den Schweiß von der Stirn. «Jetzt aber nichts wie weg hier», ächzt er heiser.
«Ganz im Gegenteil», gibt Polivka zurück und zeigt auf die zerbrochene Verandatür. «Das Sesam ist geöffnet, Hammel.» Mit dem Ausdruck seliger Erleichterung entlässt er eine veritable Blähung und spaziert zum Haus hinüber.
Ganze Arbeit hat die Ameise in dieser kurzen Zeit geleistet. Kastentüren und Laden stehen offen, auf dem Boden liegen Zeitungen und Bücher, Kleider, Briefe und CDs verstreut. Die Bilder der Impressionisten sind von den Wänden gerissen, die Rahmen zertrümmert und achtlos beiseite geworfen. Polivka bahnt sich den Weg durch diese Landschaft der Zerstörung, während Hammel unschlüssig auf der Veranda stehen geblieben ist.
«Was ist jetzt? Kommen S’, helfen S’ mit!»
«Wenn Sie mir sagen, was wir suchen …» Hammel zwängt sich durch die Tür und bleibt mit einem Ärmel an den Splittern hängen, die noch aus den Kanten ragen. «Mist, verdammter!» Er verdreht den Arm, um den entstandenen Schaden zu taxieren.
«Vergessen S’ Ihre Garderobe, Hammel, eleganter werden wir auf dieser Reise ohnehin nicht mehr. Um Ihre Frage zu beantworten: Wir suchen das, was nicht mehr da ist. Irgendwas hat dieser … dieses schwarze Monstrum mitgehen lassen.»
«Sollte ich nicht besser draußen Schmiere stehen?»
«Natürlich sollten Sie. Nur dass wir doppelt so lang brauchen werden, wenn ich mich allein hier umschauen muss.»
Ob Dienstzeit oder nicht, man ist nun einmal Untergebener: Verdrossen trottet Hammel hinter seinem Vorgesetzten her. Sie treten in die Küche, steigen über Berge von zerbrochenem Geschirr («Ameisenhaufen», murmelt Polivka) und gehen weiter in den Vorraum. Gegenüber der straßenseitigen Eingangstür führen hier zwei Treppen in den ersten Stock und in den Keller.
«Sie hinunter, ich hinauf», sagt Polivka.
Im oberen Geschoss ein Bad, ein Gästezimmer und ein Schlafraum, alle so wie das Parterre verwüstet. Von dem Chaos abgesehen, kann Polivka hier nichts entdecken, das sein Interesse weckt. Gerade dieses Nichts macht ihn nun aber stutzig. Er sinniert und grübelt, bis er auf die
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