Polivka hat einen Traum (German Edition)
Schweigen.
«Also wie soll ich dich nennen?», fragt Sophie nach einer Weile.
«Sagen wir … Polivka?»
Sophie lacht auf. «In Ordnung, du Polivka. Schau her.» Sie hält ihm ihre Linke hin, in der die Münzen liegen. Aber Polivka wehrt ab und deutet auf die Telefonzelle.
«Das sollten besser Sie … Das solltest besser du erledigen.
«Du meinst … die Polizei anrufen?»
«Nein. Nur das Europaparlament. Den Stranzer.»
Eine Viertelstunde später hat Sophie bei der örtlichen Auskunft die Nummer des Europäischen Parlaments erfragt und sich in dessen Zentrale mit Stranzers Büro verbinden lassen. Sophie atmet durch. Sie konzentriert sich auf den Plan, den Polivka und sie gerade durchgesprochen haben.
«Bonjour, madame, hier das Büro von Generaldirektor Herr von Trappenberg von Trappenberg Incorporated . Herr von Trappenberg will mit Herrn Doktor Stranzer sprechen … Ja, es drängt … Ich warte.»
Polivka macht sich bereit; er rekapituliert den Text, mit dem er Tilman Stranzer ködern will – eine Geschichte, die Profit und Privilegien, Beziehungen und Renommee in Aussicht stellt, ein Märchen wie ein frischer Ochsenschwanz, dem sich ein Hund wie Stranzer kaum entziehen können wird. Und selbst wenn Stranzer bereits Kenntnis von den neuesten Entwicklungen haben sollte: Anders als Hervé und Gallagher ist er Sophie und Polivka noch nie begegnet, er bleibt also ihre letzte Hoffnung auf eine Spur zu Omar. Mit ein wenig Glück wird er den frischen Ochsenschwanz damit vergelten, dass er Herrn von Trappenberg von Trappenberg Incorporated auf die richtige Fährte führt.
«Ach …», sagt Sophie jetzt. «Verstehe. Darf man fragen, wie er dort erreichbar sein wird? Wenn Sie mir nur seine Handynummer … Wie, Sie können nicht … Das wird Herr Generaldirektor Herr von Trappenberg nicht gerne hören … Einen was ? … Mein Gott, sind Sie verletzt? … Nein, meine Liebe, keine Angst, ich schweige wie ein Grab. Abgesehen davon, dass ich Ihnen auch von Herrn von Trappenberg so einiges erzählen könnte. Wir Bürodamen müssen zusammenhalten … Eben. Vielleicht können Sie mir nur verraten, wann er fliegt … Sie sind ein Schatz, ich danke Ihnen … Ja, Sie auch, und halten Sie die Ohren steif.»
Sophie hängt ein. «Die Sekretärin war vollkommen aufgelöst», sagt sie zu Polivka. «Der Stranzer scheint ein furchtbarer Choleriker zu sein, er hat sich noch vor zehn Minuten aufgeführt wie ein Verrückter. Weißt du, womit er sie beworfen hat?»
«Vielleicht mit einem Laptop?», antwortet Polivka.
Sophie zieht überrascht die Augenbrauen hoch. «Ja! Woher weißt du …?»
«Das war schon als Verkehrsminister seine Spezialität. Pro Monat soll er bis zu fünf Computer zertrümmert haben. Es heißt, er kauft seine Notebooks en gros. Wo ist er jetzt?»
«Angeblich auf dem Weg zum Flughafen. Laut Sekretärin hat er vorher noch telefoniert und musste dann ganz unerwartet aufbrechen. Das war es auch, was ihn so aufgeregt hat.»
«Wohin fliegt er?»
«Wien. Mit der Austrian . Um zehn nach vier soll die Maschine starten.»
Kurz vor zwei steigen Sophie und Polivka am Airport Brüssel aus dem Bus. Sie könnten sich ebenso gut in New York oder Zürich befinden: Die Flughäfen der Metropolen dieser Welt sind mittlerweile so verwechselbar, dass sie eine monströse Reihenhaussiedlung ergäben, würde man sie aneinanderreihen. Sie scheinen allesamt vom selben (mit mehr Fleiß als Phantasie begabten) Architekten konzipiert zu sein, und es ist fast schon eine Gnade, diese Möchtegern-Science-Fiction-Bauten mit Legionen von Verbotsschildern und Piktogrammen zugeklebt zu sehen.
Innen ein Gewirr aus vielfarbigen Lichtern: Shopping Mall. Spirituosen, Schokolade und Tabak im Wettstreit mit Parfüms, Colliers und Spitzenunterwäsche – wer gewinnen wird, steht in Gesetzestexten und Entschließungsanträgen der freien Welt schon festgeschrieben. Topfit sei der Mensch, duftend und reich. Und also sei die Welt auf die Topfitten, Duftenden und Reichen zugeschnitten.
Hinter einer neongrün schimmernden Sushibar finden Sophie und Polivka den Schalter der Austrian Airlines , aus dem ihnen ein mohnrot gekleideter Herr entgegenlächelt.
«How are you, Sir? What can I do …»
«Thank you, it could be better.» Zwar ist Polivka des Englischen einigermaßen mächtig, doch es ist ihm nie gelungen, sich von seinem breiten österreichischen Akzent zu lösen. Immerhin, so denkt er manchmal, könnte ich – im zweiten Bildungsweg – noch
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