Polivka hat einen Traum (German Edition)
Omen für die Reise war …
Und deshalb hat er Doktor Singh am Telefon darum gebeten, sich mit seinem Auto vor dem Prachtbau in der Fürstengasse (denn wie könnte sie schon anders heißen?) einzufinden.
«Wir in Indien», hat Singh gemeint, nachdem ihm Polivka in knappen Worten sein Problem geschildert hatte, «wir in Indien pflegen zu sagen: Wer sich auf die Jagd nach einem Tiger macht, muss damit rechnen, einen Tiger zu finden. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, Herr Bezirksinspektor: Selbstverständlich leihe ich Ihnen gerne meinen Wagen.»
«Du kennst ihn ja bereits», sagt Polivka, «es ist der kleine Inder vom Franz-Josefs-Bahnhof.»
«Wirklich nett von ihm, jetzt um …», Sophie sieht auf die Uhr, «halb zehn noch herzukommen.»
«Ärzteschicksal.»
«Auch bei einem Leichenarzt?»
Ein leiser Wind hat eingesetzt, er flüstert in den Bäumen, haucht die letzten Wolken Richtung Osten, und der Mond tritt auf die Himmelsbühne. Hinter Sophie und Polivka erglänzt das Palais Liechtenstein wie eine silberne Kulisse.
«Stranzer müsste jetzt schon längst bei Oppitz sein», bemerkt Sophie. «Was die wohl zu bereden haben …»
«Reden wird wahrscheinlich nur der Fürst. Er wird dem Herrn Europaabgeordneten eine gehörige Standpauke halten.»
«Weil wir noch am Leben sind?»
«Und weil er weiß, dass wir’s inzwischen bis nach Wien geschafft haben. Er kann unseren Atem schon im Nacken spüren.»
«Das ist doch eigentlich die Schuld von Gallagher, nicht die von Stranzer.»
«Aber Stranzer ist das nützlichere Bauernopfer. Oppitz überlegt schon jetzt, wem er die Sache in die Schuhe schieben kann, falls etwas in die Hose geht. Dem österreichischen Politiker, bei dem die Leute einen Heidenspaß dran haben, wenn er von der Presse in der Luft zerrissen wird, oder dem unscheinbaren Brüsseler Geschäftsführer, den keiner kennt …»
«Glaubst du, dass Stranzer ihm von uns erzählt? Ich meine, von seiner Begegnung mit Herrn von Trappenberg und Elsje Swanepoel?»
«Den Teufel wird er tun. Ein unverhofftes, vielversprechendes Südafrikageschäft hängt er nicht an die große Glocke, sonst will Oppitz sich am Ende noch ein Scheibchen davon abschneiden … Obwohl …»
«Obwohl?»
«Obwohl es auch ganz anders kommen könnte.» Polivka verstummt, er spürt ein unvermitteltes Gefühl der Leere, ein inneres Vakuum, wie es sich einstellt, wenn man aus dem Haus geht und den Schlüsselbund daheim vergessen hat. Er horcht in sich hinein, versucht, die Strategie des Feindes Schritt für Schritt nachzuvollziehen. Als er weiterspricht, klingt seine Stimme angespannt: «Vor eineinhalb Stunden, gegen acht am Abend, ist Stranzer im Weinviertel angekommen. Oppitz weiß von Gallagher, dass wir denselben Flug nach Wien genommen haben, also fragt er Stranzer unverzüglich, ob er uns am Flughafen oder an Bord der Maschine gesehen hat. ‹Nein›, sagt Stranzer, ‹ich weiß gar nicht, wie die beiden ausschauen – Gallagher wollte mir gerade die Fotos auf mein Handy schicken, aber just in dem Moment hat das Scheißding den Geist aufgegeben.›»
«Daraufhin», nimmt jetzt Sophie den Faden auf, «zeigt Oppitz ihm die Bilder, die er längst von Gallagher erhalten hat, und Stranzer fällt die Kinnlade herunter: Auf den beiden Fotos sieht er …»
«Herrn von Trappenberg und Elsje Swanepoel», nickt Polivka. «Und langsam, wie bei einer Energiesparlampe, geht das Licht in seinem habgierigen Schädel an, das Licht nämlich, dass wir ihn hinter selbiges geführt haben. Plötzlich steckt er in der Zwickmühle: Wenn er dem Fürsten beichtet, dass er uns nicht nur unbehelligt aus dem Flughafen geschmuggelt, sondern auch noch bis nach Wien kutschiert hat, kann er sich auf eine Explosion gefasst machen, dagegen war der Ausbruch des Vesuv ein Kinderspiel. Wenn er ihm aber unsere Begegnung verschweigt, dann leistet er uns ganz gehörig Schützenhilfe, und er schneidet sich damit ins eigene Fleisch. Er ist ja immerhin der Letzte, der uns zu Gesicht bekommen hat, mit seiner Hilfe kann der Trupp von SSS unsere Spur bis zum Hotel Intercontinental verfolgen.»
«Außerdem», ergänzt Sophie, «muss Oppitz davon unterrichtet werden, dass wir jetzt seine Nummer haben – und damit vermutlich seine Personalien herausbekommen können … Aber jetzt pass auf», Sophie packt Polivka am Arm, «wenn Stranzer Oppitz angerufen hat, mit deinem Handy, dann … dann hat der Fürst doch jetzt auch deine Nummer! Und dann können die uns wieder
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