Polivka hat einen Traum (German Edition)
jeden Österreicher eine, um das Land gegen die drohende Pandemie zu wappnen. Wenn nämlich in dreißig Jahren die Tigermücke kommt, dann könnten sich Versorgungsengpässe ergeben. Dumm nur, dass die Haltbarkeit des Mittels mit zwei Jahren begrenzt ist. Also muss die ganze Lieferung noch heuer fachgerecht entsorgt werden.»
«Unglaublich.»
«Nein, nur österreichisch.»
«Wie viel hat das Zeug gekostet?»
«Zwölf Millionen Euro, davon gingen gut fünfhunderttausend an den Fürsten, der ganz offiziell auf der Gehaltsliste der Lieferfirma stand. Eine vergleichsweise geringe Summe, aber dafür musste er auch keinen Cent an das Gesundheitsministerium weiterleiten.»
«Und warum?»
Auf Polivkas Gesicht macht sich ein Lächeln breit. Kein warmherziges Lächeln, sondern eine regelrecht sardonische Grimasse. «Weil es ohnehin in der Familie bleibt», meint er mit süffisantem Unterton. «Weil nämlich unsere verehrte Frau Ministerin die Ehegattin von Fürst Omar ist.»
Die Stille senkt sich schwer über den Tisch im Gasthaus Puttinger , an dem die beiden sitzen. Wortlos greift Sophie zu ihren Gauloises und steckt sich eine an. Im Halbdunkel löst sich der Wirt, der alte Puttinger, von seinem Platz hinter der Theke und schlurft träge durchs Lokal, um einen Aschenbecher auf den Tisch zu stellen.
«Ich hab da jetzt ein Rauchverbot. Zu viele Anzeigen», bemerkt er trocken.
«Heute Abend stehen Sie unter meinem Schutz, Herr Puttinger», entgegnet Polivka und hält ihm seine Zigarettenschachtel hin. «Wollen S’ auch eine?»
«Die Firma dankt, Herr Kommissar.» Der Alte nestelt eine Zigarette aus der Packung, lässt sich Feuer geben. «Es ist eh schon wurscht, ob ich den Laden zusperren muss, weil ich die Strafen nimmer zahlen kann, oder deshalb, weil die Stammgäste nicht mehr kommen.» Puttinger zeigt auf den leeren Gastraum. «Dabei hab ich eh so eine große Lobby.» Achselzuckend wendet sich der Alte ab und geht zur Schank zurück.
Erst jetzt findet Sophie die Sprache wieder. «Deshalb also … Deshalb diese ganze Aufregung mit deinem Obersten. Weil Omars Frau in der Regierung sitzt …»
Polivka nickt. «Verglichen mit dem Oppitz ist der Stranzer eine armselige Witzfigur. Korrupt und schmierig, ja, aber nicht annähernd so einflussreich. Der Fürst ist zehnmal schlauer, zehnmal mächtiger, zehnmal gefährlicher. Du hast es ja gesehen: Es kostet ihn nur einen Anruf, um das Innenministerium, das Polizeipräsidium und meinen Chef in Angst und Schrecken zu versetzen.»
«Wenigstens kann er für sich in Anspruch nehmen, kein Politiker zu sein: Er gibt nicht vor, die Interessen seiner Wähler zu vertreten.»
«Stimmt schon, aber erstens muss er sich auf diese Art nicht exponieren – er kann in aller Ruhe aus dem Hintergrund die Fäden ziehen –, und zweitens hat er keinen Posten zu verlieren. Sein Ruf ist ihm egal, solang ihm kein integerer, sprich: autoaggressiver Staatsanwalt die Tour vermasselt.»
«Und was soll das jetzt für eine Tour sein, wahllos irgendwelche Leute in der Bahn umbringen zu lassen?»
«Weiß ich auch nicht …», murmelt Polivka. «Ich weiß nur eines, nämlich dass uns dieser Schuh ein paar Nummern zu groß ist.»
Schweigend senkt Sophie den Kopf. Dann dämpft sie kurz entschlossen ihre Zigarette aus. «Sei ehrlich … Willst du die Sache beenden?»
«Sicher will ich sie beenden. Aber aufgeben will ich sie nicht. Ganz abgesehen davon, dass wir sowieso nicht mehr zurückkönnen. Die werden uns nicht in Ruhe lassen, bis wir …»
Polivka kann seinen Satz nicht mehr zu Ende bringen. Zärtlich gräbt Sophie die Finger in den grauen Pelz auf seinem Hinterkopf, zieht ihn an sich und küsst ihn. Küsst ihn lang und voller Leidenschaft im warmen Schimmer einer 60-Watt-Glühbirne, die hier schon seit Jahren von der Decke baumelt: mahnendes Relikt aus einer Zeit, in der die Welt noch schlecht, der Mensch noch unbedacht, gewissenlos und egoistisch war.
«Wo, denkst du, steckt er?», fragt Sophie gefühlte zehn Minuten später. «Wie sollen wir ihn aufspüren?»
Polivka weiß nicht sofort, wovon sie spricht; er fühlt sich immer noch benommen. Diese intensive Küsserei schlägt sich nun einmal auf den Kreislauf, man ist schließlich keine siebzehn mehr, man geht nicht mehr zum Tanzen, sondern zur Diätberaterin, und das, was man am schnellsten hochkriegt, ist der Blutdruck. Trotzdem trägt man seine toten Wurzeln bisher nur im Mund, das gute alte Druckventil ist nach wie vor intakt. Woran
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