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Polivka hat einen Traum (German Edition)

Polivka hat einen Traum (German Edition)

Titel: Polivka hat einen Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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es mangelt, ist ein ruhiges Plätzchen, eine Tür, die sich von innen zusperren lässt, ein paar Quadratmeter Intimsphäre, um mit Sophie ganz ungestört die große Forschungsreise durch gemeinsame Intimsphären antreten zu können. Insofern hat sich nicht viel geändert, seit Polivka siebzehn war. Im Gegenteil, die Lage hat sich eher noch verschlechtert: Wenn die Eltern nämlich einen Abend außer Haus verbrachten oder gar auf Reisen waren, hatte er das, was man sturmfreie Bude nennt, und damals konnte er die Bude auch nach Lust und Laune nutzen, ohne gleich über den Haufen geschossen zu werden.
    Jetzt ist seine Mutter in Paris, das Haus steht leer, und er, der Fünfzigjährige, muss einen großen Bogen darum machen.
    Verflucht seien Gallagher und Stranzer und Hervé, denkt Polivka, verflucht seien Oberst Schröck, der Polizeidirektor und die ganze niederträchtige Ministerbrut. Von allen am gründlichsten verflucht sei aber er , sei …
    «Oppitz.» Laut vollendet Polivka seinen Gedankengang. «Du meinst, wo Oppitz steckt?»
    «Wir haben seine Adresse nicht.»
    «O doch, die haben wir. Er ist ein Fürst – sogar in Österreich, wo Adelstitel seit fast hundert Jahren verboten sind, nennt man ihn so –, und Fürsten residieren in Schlössern. Seine Ländereien sind in Stadlwald, im Weinviertel, ganz oben an der tschechischen Grenze.»
    «Ländereien hat Omar auch?»
    «Zweihundert Hektar Wiesen, Ackerland und Wald, auf denen sich die Hasen und Fasane tummeln. Und die Jäger: Wirtschaftskapitäne, Aufsichtsräte, Abgeordnete und Landeshauptleute … Was man sich halt so einlädt, wenn man seine Wochenenden auf der Pirsch nicht ganz allein verbringen will.»
    «Wie sollen wir denn dort hinkommen? Hast du ein Auto?»
    «Nein. Kein Auto, keinen Cent für eine Busfahrkarte, keine Unterkunft und keinen Plan. Die Frage ist außerdem, was wir anstellen sollen, wenn wir einmal dort sind.»
    «Ihn … zur Rede stellen», gibt Sophie ein wenig zögerlich zurück. «Ich meine, etwas in der Art …»
    «Zur Rede stellen? Der Mann hat eine Schrotflinte, Sophie. Ganz abgesehen von der ekelhaften Donnerbüchse, die mit ihm das Bett teilt.»
    «Die Ministerin?»
    «Weißt du, was sie getan hat, um die Medien von ihrem Coup mit dem Insektenmittel abzulenken? Einen Parlamentsantrag hat sie gestellt, auf zeitgemäßes Gender-Mainstreaming des Arztgelöbnisses. Unsere frischgebackenen Mediziner sollten also nicht mehr schwören, sich ihrer ‹Patienten› anzunehmen, sondern ihrer ‹Patientinnen und Patienten›. Oder ihrer ‹PatientInnen› mit Binnen-I. Da waren auf einmal alle ganz begeistert von der Frau Ministerin, auch die, die ihr noch kurz davor das Knochenbrecherfieber an den Hals gewünscht haben. So viel Ethos, so viel Feingefühl, so viel Political Correctness ! Und mit einem Schlag waren auch die zwölf Millionen Steuergeld vergessen, die sie den Auftraggebern ihres Mannes in den Arsch geschoben hat. Verstehst du? Solche Leute kann man nicht zur Rede stellen.»
    «Und was schlägst du stattdessen vor? Zur Presse gehen? Du hast es heute Mittag schon im Bus gesagt: Wir haben nichts, um unsere Geschichte zu beweisen, nur ein Video, das meinen Bruder hinter Gitter bringen kann.»
    Polivka schweigt. Er mustert sein geleertes Bierglas, kratzt sich an der Schläfe, wendet seinen Blick dann zu den Fenstern. Draußen auf der Straße haben die Laternen ihre Arbeit aufgenommen; die Kolonnen der geparkten Autos stehen stumm in ihrem fahlen Licht.
    «Okay, dann fahren wir nach Stadlwald», nickt Polivka.
    «Und wie?» Sophie ist seinem Blick gefolgt. «Sag bloß, du willst … ein Auto stehlen.»
    «Von wollen kann keine Rede sein.»
    «Hast du in Wien keine Verwandten oder Freunde, die uns einen Wagen leihen können?»
    «Nein, aber …», ein Grinsen zieht sich plötzlich über Polivkas Gesicht, «ich habe einen Pathologen.»

21
    Der Nieselregen hat inzwischen aufgehört, behäbig ruht die Stadt im lauen Juniabend. Mit ein Grund dafür, dass Polivka sich einen Treffpunkt ausgesucht hat, der Sophie und ihn zu einem zehnminütigen erfrischenden Spaziergang zwingt. In erster Linie aber war es eine (durchaus als neurotisch zu bezeichnende) Allüre, eine abergläubische Affinität zum Dramaturgischen, die ihn dazu bewogen hat, ausgerechnet das Barockpalais des Fürsten Liechtenstein zum Ausgangspunkt der Fahrt nach Stadlwald zu wählen: von einem Schloss zum anderen, von Fürst zu Fürst gewissermaßen – wenn das nicht ein gutes

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