Polizei-Geschichten
deshalb
aber bin ich noch kein Freund des Polizeiverfahrens.“ —
„Unser Aller Ziel muß ein geordneter Rechtszustand
sein, worin die Rechte des Einzelnen möglichst geschützt
sind,“ sagte der Kriminalrath. „Mag man nun auch zuge-
ben, daß in unsern Verhältnissen der Willkühr ein aller-
dings großer Spielraum gegönnt ist, was sich aber durch
Feststellung engerer Gesetze z. B. nach Art der englischen
HABEAS-CORPUS-Akte ändern ließe: so muß man anderer-
seits bedenken, daß ein ganz vollkommener Schutz doch
nie zu erreichen ist. Die Polizei ist ein nothwendiges Uebel.
Ohne sie wäre es nicht möglich, einen Verbrecher vor das
Gesetz und zur Strafe zu ziehen, und wenn auch einmal,
was sich selbst durch den geordnetsten Rechtszustand nicht
ganz vermeiden läßt, aus Irrthum oder Versehen einem Un-
schuldigen zu nahe getreten wird, so muß er sich dann mit
der gerichtlichen Anerkennung seiner Unschuld und dem
Gedanken trösten, daß er ohne die Wachsamkeit dieser Be-
hörde selbst keinen Schutz seiner Rechte haben würde.“ —
„Sie wollen das Hühnerauge beschneiden, während es
darauf ankommt, das brandige Bein abzunehmen,“ sagte
der Arzt. „Die Polizei ist ein nothwendiges Uebel, aber
nothwendig nur in unserer heutigen Gesellschaft. Statt da-
her die Nothwendigkeit aufzuheben, indem Sie die Bedin-
gung der heutigen Gesellschaft aufheben, wollen Sie nur
das Uebel verkleinern, indem Sie seiner Wirkung engere
Grenzen setzen. Suchen Sie die Voraussetzung der Polizei:
das Verbrechen, und die Voraussetzung des Verbrechens:
die Ungleichheit der Erziehung und äußeren Verhältnisse
in Ihrer unebenen Gesellschaft, mit Einem Wort heben
Sie die Armuth auf, und Sie brauchen keine Willkühr der
Polizei länger zu fürchten. — Ueberhaupt verstehe ich die
Ausdrücke Gesetz und Strafe nicht. Beide setzen Unord-
nung und Unnatur in der Gesellschaft voraus; in einem
harmonisch organisirten Ganzen sind Gesetz und Strafe
überflüssig.“ —
Hier wurde die Unterhaltung durch den Eintritt eines
Neuankommenden unterbrochen. Es war der Oberarzt der
Klinik. Als er Platz genommen hatte und die Hausfrau ihm
Vorwürfe über die Verzögerung seines Kommens machte,
sagte er:
„Ich bitte um Verzeihung, allein ich mußte mich
nothwendig noch nach der Klinik begeben, um nach dem
Schneidergesellen zu sehen, den der Gensd’arme verwun-
det hatte. Es ist des Zeugnisses wegen.“ —
„Und wie haben Sie ihn gefunden? — Wir sprachen so-
eben davon,“ sagte die Dame.
„Er ist todt,“ erwiderte der Doktor ruhig.
In der Gesellschaft entstand eine tiefe, stille Pause, nur
einigen Damen entschlüpfte ein leiser Ausruf mitleidiger
Theilnahme. Der Oberarzt rührte gleichgültig mit dem
Löffel in seiner Theetasse.
„Das Mädel, seine Geliebte, war da und weinte, weil sie
nicht zu ihm gelassen wurde. Es ging aber auch nicht an.
Er hatte sein Bewußtsein bis zum letzten Augenblick. Der
arme Teufel! Er ist recht muthig gestorben, nur das Schick-
sal seiner alten blinden Mutter und seiner Liebsten lag ihm
sehr im Sinn!“ —
Die vorgesetzte Dienstbehörde.
n dem Salon war wieder der gewöhnliche Kreis von
IHausfreunden versammelt. Der Kriminalrath saß auf
seinem alten Platz und wiegte sich in dem gemächlichen
Lehnsessel, der stets für ihn besonders hingerückt wurde.
Mehrmals schon hatte er sich in Erwartung der kommen-
den Dinge forschend umgesehen; da es ihm indeß zu lange
zu währen schien, nahm er jetzt wie in der Zerstreuung
ein Stück Kuchen vom Tisch, und verzehrte es mit gedan-
kenvoller Miene. Die Hausfrau stand seitwärts an einem
Nebentisch und war eben mit Eingießen des Thees be-
schäftigt, während die Mädchen die Tassen herumreichten.
Nur der junge Arzt fehlte.
„Es ist recht Schade, daß unser Doktor nun an unsern
kleinen Zusammenkünften keinen Theil mehr nehmen
kann,“ sagte die Hausfrau zu den Gästen gewendet. „Er
war ein vielseitig gebildeter junger Mann, und wußte der
Unterhaltung durch seine eigenthümlichen, aber gründli-
chen Ansichten ein doppeltes Interesse zu verleihen.“ —
Der Kriminalrath tauchte eben ein Stück Kuchen in
seine Tasse und sagte achselzuckend:
„In der That, seine Ansichten waren zuweilen sehr eigen-
thümlich. Sie haben ihm auch sein jetziges Geschick zuge-
zogen.“ —
„Es mag immer noch Vielen eigenthümlich scheinen,“
sagte der Maler, „wenn Jemand mit den
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