Polizei-Geschichten
Verfügung auch durchzuführen ver-
möge. Was aber den Gensd’armen betrifft, so weiß ich aus
zuverlässiger Quelle, daß derselbe von seiner vorgesetzten
Dienstbehörde einen Verweis erhalten, sich künftighin
vorzusehen. Man muß also doch sein Verhalten nicht so
ganz in der Ordnung gefunden haben.“ —
„Bei dem Weg der Beschwerde mögen die Betheiligten
allerdings oft zu keinem genügenden Ziel kommen,“ sagte
der Referendar aus der Provinz, „aber die vorgesetzten
Behörden sind auch oft, ohne ihr Wissen, bloß durch die
bestehenden Einrichtungen der Gefahr ausgesetzt, Partei
für ihre Unterbeamten nehmen zu müssen. Ich habe erst
kürzlich in meiner Heimath einen sehr eklatanten Fall
dieser Art erfahren.“ —
Der Kriminalrath sah den Sprechenden mit einem son-
derbar fragenden Blick an, die Gesellschaft aber verlangte
neugierig die Geschichte zu hören. Die Stühle wurden nä-
her um den Tisch gerückt, die Hausfrau füllte noch einmal
Thee nach, und der Referendar begann nunmehr seine
Erzählung.
„In dem Hause, wo ich seit meiner Beschäftigung beim ***
Gericht wohne, lebte unten im Erdgeschoß auch ein ar-
mer Schuster, eigentlich wohl nur ein Flickschuster zu
nennen, denn er hatte wenig anderes als Flickarbeit für
seine Kunden zu besorgen. Ich war beim Ein- und Ausge-
hen schon auf ihn aufmerksam geworden, da ich ihn bei
seinem höchst kümmerlichen Verdienst immer singend
und guter Dinge fand; später erbot er sich mir zur Auf-
wartung, und so wurde ich genauer mit ihm bekannt. Es
war eine drollige humoristische Figur, mit einem überra-
schend schlagenden Witz begabt, und dabei von ungemei-
ner Lernbegierde. Ich unterhielt mich gewöhnlich jeden
Morgen längere Zeit mit ihm, eigentlich um mich an sei-
nen Späßen und seiner ganzen drolligen Weise zu erget-
zen, aber ich mußte bald auch seinen wißbegierigen Ernst
bewundern, und gestehe, daß mich dieser arme Teufel aus
dem Volk manchmal durch seine Fragen in Verlegenheit
gesetzt hat. Dabei hatte er einen so richtigen Urtheilssinn,
wie ich ihn selten unter solchen Leuten gefunden habe.
Ich bin überzeugt, daß der Mensch zu höchst Bedeuten-
dem berufen war, aber seine Armuth fesselte ihn in den
Koth der Gesellschaft und ließ seine Gaben unbenutzt
verderben.
Eines Morgens trat Schwind, so hieß der Schuster, mit
sehr verlegener Miene in mein Zimmer, nachdem er den
Tag vorher ausgeblieben war. Statt wie sonst mir sogleich
seine Neuigkeiten aufzutischen, nahm er nach kurzem
Gruß die Kleider, und begab sich mit auffallender Schweig-
samkeit auf den Korridor, von wo ich bald das Geräusch
seiner eifrigen Bürste vernahm. Als er wieder hereinkam,
hing er die Sachen an ihren gewöhnlichen Ort, und machte
sich, da ich von meiner Arbeit nicht aufblickte, noch einen
Vorwand der Beschäftigung.
„Der Herr Doktor haben sich wohl gewundert,“ sagte er
endlich, daß ich gestern morgen nicht zur Aufwartung ge-
kommen bin. Aber wahrhaftig, ich war nicht Schuld daran,
daß ich die Nacht auf der Polizei gesessen habe.“ —
Diese Einleitung setzte mich in neugierige Verwun-
derung, denn ich kannte Schwind als einen ordentlichen
ruhigen Menschen. Ich schob meine Akten zur Seite und
fragte, indem ich mich im Stuhl zu ihm hinkehrte:
„Was, Schwind! Ihr habt auf der Polizei gesessen? Also
trinkt Ihr auch, das hab’ ich früher noch nicht an Euch
gekannt, denn wahrscheinlich habt Ihr in der Trunkenheit
Skandal oder Schlägerei angefangen, daß man Euch so
untergebracht hat?“ —
„Gott bewahre, Herr Doktor!“ sagte der arme Teufel er-
schreckt. „Sie werden gewiß selbst sagen, daß ich gar nichts
Besonderes gethan habe. — Sehen Sie, vorgestern Morgen
bekomme ich einen Brief aus der nächsten Ortschaft, worin
mir mein Bruder schreibt, daß ich ihm entgegenkommen
solle, und auch drei Thaler in die Tasche stecken möge, da-
mit er die am Stadtthor vorzeigen könne. Nun müssen Sie
wissen, Herr Doktor, daß mein Bruder seit zwei und einem
halben Jahr auf der Wanderschaft ist und wir uns in der
Zeit nicht gesehen haben. Ich nehme also drei Thaler und
gehe meinem Bruder entgegen. Auf dem Rückweg gebe ich
ihm nun das Geld, welches er am Thor vorzeigt, und als
wir so in die Stadt gekommen sind, giebt er mir das Geld
wieder, denn er ist ein tüchtiger gelernter Geselle und
braucht um ein Unterkommen nicht besorgt zu sein.“ —
„Wozu muß er denn am Thor drei Thaler
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