Polizei-Geschichten
herrschenden
Grundsätzen im Widerspruch steht. Aber die Geschichte
kann uns überall zeigen, daß der sogenannte beschränkte
Unterthanenverstand doch zuletzt immer über die privi-
legirte Weisheit den Siegespreis davongetragen hat, so-
wohl den Preis der Vernunft als den des thatsächlichen
Kampfes.“ —
„Daß Jemand im Widerspruch mit den herrschenden An-
sichten steht , kann kein Vorwurf für ihn sein, zumal wenn
seine Ueberzeugung aus wahrer Kritik der Verhältnisse
hervorgegangen ist,“ bemerkte der Angegriffene. „Wenn
er aber als Einzelner auch äußerlich in offenen, schroffen
Widerspruch und Kampf mit ihnen tritt , so kann man das
wohl eine Thorheit nennen.“ —
„Wenn es seine wahre Ueberzeugung ist, so muß er
auch damit ans Licht treten und sie vertheidigen dürfen.
Der Muth einer Meinung ist immer achtungswerth, und
das Bischen Verfolgung trifft seine Sache nicht. — Wenn
Sie es aber für Thorheit erachten, daß er allein mit der
Wahrheit beim Volke durchzudringen hofft, so mögen
Sie Recht haben. Die Wahrheit selbst ist den Leuten
gleichgültig, ja sie fürchten sich sogar davor. Bei der Er-
ziehung schon suchen die Aeltern ihre Kinder ängstlich
vor solchen Meinungen zu hüten, die sie doch in ihrem
Innern als die einzig auf Wahrheit beruhenden erkennen,
blos weil dieselben mit den herrschenden Ansichten in
Widerspruch stehen. Diese Feigheit ist die nothwendige
Folge gewisser demoralisirenden Einrichtungen. Wo die
Wahrheit aber wirklich mit den Massen durchgedrun-
gen ist, waren es immer nur andere äußere Verhältnisse,
die den Kampf veranlaßten. Für die bloße Wahrheit tritt
selten ein Volk, am wenigsten das unsre, thätlich in die
Schranken.“ —
„Da sieht man die echten Politiker,“ sagte die Hausfrau,
sich an den Tisch setzend. „Kaum hat man den Rücken
gewendet, so liegen sie auch schon in Hader.“
„Und wir Andern haben noch gar nicht einmal erfahren,
was denn dem Doktor geschehen ist, und weshalb er an
der Gesellschaft keinen Theil mehr nehmen könnte?“ be-
merkte eine junge Dame.
„Der Doktor,“ sagte die Hausfrau, „war mit einigen sei-
ner Bekannten an einem öffentlichen Ort, und man sprach
darüber, daß der Gensd’arme ohne Strafe ausgegangen sei,
der jüngst den Schneider in der Friedrichsstraße auf den
Tod verwundet hatte. Die Aeußerungen des Doktors müs-
sen nicht eben sehr vorsichtig gewesen sein, denn in Folge
einer Denunciation wurde er zur polizeilichen Untersu-
chung gezogen und aus der Stadt verwiesen.“ —
„Da man ihm Form Rechtens nichts anhaben konnte,“
sagte der Maler.
„Also der Gensd’arme ist wirklich leer ausgegangen?“
fragte der Referendar, ein Verwandter der Hausfrau, wel-
cher auf Besuch in der Residenz war.
„Und der arme Doktor hat wirklich die Stadt verlassen
müssen?“ fügte theilnehmend die junge Dame hinzu.
„Der Gensd’arme ist leer ausgegangen, wenigstens ohne
Strafe, wie es vielleicht Manche erwartet hatten; denn das
Polizei-Präsidium war der Ansicht, daß ihm gegen einen
Verhafteten, der ihm thätlichen Widerstand leistete und
ihn insultirte, die Anwendung seiner Gewalt zugestanden
habe, also ein Vergehen von seiner Seite nicht vorliege,“ er-
widerte der Kriminalrath wohlgefällig, „ganz wie ich die
Sache von vornherein betrachtete. Und der Doktor hat vor-
gestern die Stadt verlassen müssen, obwohl er sich sehr
auf sein Indigenat und seine Rechte als Landeskind berief.
Indeß eine polizeiliche Verfügung — “
„Hat mit Rechten nichts zu schaffen,“ bemerkte der Maler.
„Die Polizeibehörde muß jedoch diesmal wohl ganz be-
stimmte Gründe gehabt haben,“ sagte der Kriminalrath,
„denn der Doktor hat auf seine Beschwerde beim Ministe-
rium den Bescheid bekommen, daß es bei der Verfügung
der Polizeibehörde sein Bewenden haben müsse.“ —
„Man weiß ja, was eine Beschwerde in dem Labyrinth
unserer Bureau-Wege erreichen kann, wo ein Dritter bei
einem Beamten gegen einen Beamten, bei der Polizei gegen
die Polizei Schutz sucht,“ warf der Maler ein. „Ueberdies
scheinen die Gründe bei des Doktors Ausweisung nicht
sehr dringend gewesen zu sein, denn der Polizeidirektor
sagte ihm, daß man das Dekret wohl zurückgenommen
hätte, wenn er statt auf sein Recht als Landeskind zu po-
chen, bescheiden um Rücknahme der Verfügung nachge-
sucht hätte: so aber hätte man zeigen müssen, daß man
die einmal erlassene
Weitere Kostenlose Bücher